junge Welt, 11. September 2014

Blut an der Kleidung

junge Welt, 11. September 2014Vor zwei Jahren, am 11. September 2012, starben bei einem Brand in der Textilfabrik Ali Enterprises im pakistanischen Ka­ratschi 255 Menschen. Insgesamt hatten rund 650 Beschäftigte in dem Unternehmen gearbeitet, als das Feuer ausbrach. Verschlossene Notausgänge, vergitterte Fenster und versperrte Treppenhäuser machten das Gebäude zu einer tödlichen Falle. Die Fabrik war nicht offiziell registriert gewesen, und es hatten keine Inspektionen durch die Behörden stattgefunden. Gegen die Eigentümer wurde ein Mordverfahren eröffnet, das auch zwei Jahre später noch immer nicht abgeschlossen ist. Die Profiteure jedoch – europäische Bekleidungsdiscounter wie KiK – versuchen, sich billig aus der Verantwortung zu stehlen.

 

Unmittelbar nach der Tragödie hatte das Unternehmen versprochen, man wolle Soforthilfe leisten. Seither hat KiK nach eigenen Angaben rund 740000 Euro an die Betroffenen ausgezahlt. Langfristige Unterstützung für die Betroffenen und die Hinterbliebenen der Getöteten verweigert KiK jedoch. Zwar hatte sich die Modekette im Dezember 2012 vertraglich auch zu langfristigen Zahlungen verpflichtet, etwa um den dauerhaften Verdienstausfall des Haupternährers einer Familie zu kompensieren. Seither gehe es jedoch nicht voran. »KiK verschleppt diese Verhandlungen seit fast einem Jahr«, erklärte Frauke Banse von der »Kampagne für Saubere Kleidung«, die an den Verhandlungen beteiligt ist. »Bleibt es dabei, müssen juristische Schritte zur Einhaltung des Vertrags folgen.« Dabei gehe es den Betroffenen nicht um Geld, sondern um Gerechtigkeit, so ECCHR-Sprecherin Miriam Saage-Maaß. »Sollten die Verhandlungen erneut scheitern, sind sie bereit, KiK vor einem deutschen Gericht zu verklagen.«

Unterstützt werden sie inzwischen auch von den deutschen Gewerkschaften. »Die Kolleginnen und Kollegen an den Nähmaschinen in Süd- und Südostasien haben Anspruch auf eine angemessene und faire Entschädigung«, erklärte der Vorsitzende der IG Metall, Detlef Wetzel. »Sie brauchen dringend bessere Arbeitsbedingungen und eine anerkannte gewerkschaftliche Vertretung.« Gemeinsam mit dem ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske und DGB-Chef Reiner Hoffmann hat er aus Anlaß des zweiten Jahrestages der Brandkatastrophe einen Aufruf unter dem Titel »Wir stehen am Anfang« lanciert. In diesem Appell erinnern die Gewerkschafter auch an zwei Unglücke in Textilfabriken in Bangladesch, bei denen im November 2012 und im April 2013 insgesamt mehr als 1200 Beschäftigte getötet wurden. Auch sie hatten für europäische Modekonzerne gearbeitet. »In Südasien wird unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen genäht, was wir in den Fußgängerzonen unserer Städte kaufen – Kleidung, an der Blut klebt«, bilanzieren die drei Gewerkschaftsvorsitzenden. Sie fordern eine Verschärfung des deutschen Haftungsrechts, um Unternehmen für die Zustände in den Betrieben, aus denen sie ihre Waren beziehen, besser zur Verantwortung ziehen zu können. Und sie appellieren an die Konsumenten: »Wir bitten Sie daher, beim Einkauf darüber nachzudenken, unter welchen Bedingungen Ihre Hose, Ihr Kleid oder Ihr T-Shirt genäht wurde. Wir bitten Sie ausdrücklich um eine Spende für die betroffenen Kolleginnen und Kollegen. Wir spenden für einen Opferfonds, der medizinische Behandlungen unterstützt. Wir tragen zur Finanzierung von Gerichtsverfahren gegen die Schuldigen hier in Deutschland bei.«

Erschienen am 11. September 2014 in der Tageszeitung junge Welt