junge Welt, 20. März 2015

Blockupy hat recht

junge Welt, 20. März 2015Katja Kipping, die Vorsitzende der Linkspartei, war am Mittwoch in Frankfurt am Main und beobachtete zusammen mit weiteren Kollegen aus dem Bundestag und Länderparlamenten die »Blockupy«-Proteste gegen die Europäische Zentralbank (EZB). Für den CDU-Abgeordneten Albert Weiler war das ein Fehlverhalten. Während der gestrigen »Aktuellen Stunde« im Bundestag rüffelte er Kipping per Zwischenfrage: »Wir hatten gestern Plenumstag. Das heißt, der Abgeordnete ist eigentlich verpflichtet, dem Plenum beizuwohnen – und Sie fahren nach Frankfurt und sehen dort einer Demonstration zu.« Um ihn herum saßen einige wenige Mitglieder seiner Fraktion – die meisten Plätze im Plenarsaal waren jedoch leer. Die wenigsten Abgeordneten hielten es offenkundig für notwendig, ihre Empörung über die Ausschreitungen am Rande der Proteste in Frankfurt zu zelebrieren. Auch während der anschließenden Debatte über Kinderarmut in Deutschland füllte sich das Plenum nicht wahrnehmbar. Ob Herr Weiler seine Parlamentskollegen dafür noch rügen wird, wurde nicht mitgeteilt. Die Redner aller Fraktionen distanzierten sich derweil unisono von der Gewalt. Irene Mihalic von den Grünen ging noch einen Schritt weiter und verdammte auch gleich noch den Bündnisaufruf zu den »Blockupy«-Protesten: »Die Europäische Union als das größte Friedens- und Freiheitsprojekt der letzten 70 Jahre hat sicherlich ganz viele Fehler. Sie aber als autoritäres Regime und Deutschland als Herz der Bestie zu bezeichnen, wie in diesem Aufruf, geht gar nicht.«

Geht doch. Wörtlich lauten die Passagen in dem von der Expolizistin Mihalic zur Anklage gebrachten Aufruf: »Im Verlauf der Krise wurde aus der EU mehr und mehr ein autoritäres Regime mit einem offensichtlichen Mangel an demokratischer Partizipation. Das mörderische europäische Grenzregime und die fortschreitende Militarisierung sind ebenfalls Teil dieses Prozesses. (…) Deutschland ist eine der treibenden Kräfte hinter dieser Spar- und Austeritätspolitik. Es ist gewissermaßen das Herz der Bestie und das relativ ruhige Auge des Sturms zugleich.« Am Donnerstag morgen hatte die Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel einmal mehr deutlich gemacht, wie korrekt diese Analyse von »Blockupy« ist. Wenige Stunden vor dem am Abend in Brüssel stattfindenden EU-Gipfeltreffen verlangte die Regierungschefin einmal mehr, Athen müsse seine Zusagen einhalten und den Haushalt sanieren. Spanien und Irland seien »Beispiele, was entschlossenes Handeln der Länder und solidarisches Handeln bewirken kann«. Detaillierter war am Vortag bei »Blockupy« der spanische Europaabgeordnete Miguel Urbán geworden: »Allein in Spanien haben fast eine Million Menschen seit 2010 durch Zwangsräumungen ihre Wohnung verloren; die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 50 Prozent, und die öffentlichen Schulden betragen 100 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.«

Auch in Griechenland hat der von EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) durchgesetzte Kürzungskurs zu einem »angekündigten Desaster« geführt, wie die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung in einer am Donnerstag veröffentlichten Studie analysiert. Im Schnitt seien die Bruttoeinkommen der griechischen Privathaushalte vor allem durch Lohnkürzungen und Steuererhöhungen innerhalb von vier Jahren bis 2012 um ein knappes Viertel gesunken. »Diese Kürzungen fielen weit umfassender aus, als nötig gewesen wäre, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft zu stärken«, analysieren Tassos Giannitsis und Stavros Zografakis. »Die nüchternen Zahlen zeigen, wie Millionen Menschen in Griechenland durch eine überharte und sozial völlig unausgewogene Austeritätspolitik wirtschaftlich abgestürzt sind«, kommentiert der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Böckler-Stiftung, Gustav Horn. »Hunderttausende sind in ihrer Existenzgrundlage bedroht, weil die von der Troika aus EU, EZB und IWF geforderte und von den bisherigen Regierungen sehr kurzsichtig und zum Teil interessengeleitet umgesetzte Sparpolitik kaum soziale Abfederung kannte.«

Auch deshalb seien die »Blockupy«-Proteste gerechtfertigt und ein Erfolg, heißt es in einer am Donnerstag veröffentlichten Erklärung der DKP und der ihr nahestehenden Jugendorganisation SDAJ: »Es passt nicht, gläserne EZB-Luxusbauten hochzuziehen, während Millionen in der EU in schlimmste Armut fallen. Es passt nicht, Lachsschnittchen zu reichen, während im Mittelmeer Flüchtlinge an der EU-Außengrenze ersaufen.« Diese Botschaft der mehr als 20.000 Protestierenden solle durch die über Wochen herbeigeredeten Bilder von brennenden Polizeiwagen und Straßenschlachten verdrängt werden. Wichtig sei aber, den Widerstand fortzusetzen, zum Beispiel bei den Protesten gegen den G-7-Gipfel, der am 7. und 8. Juni im bayerischen Schloss Elmau stattfinden soll.

Erschienen am 20. März 2015 in der Tageszeitung junge Welt