Bewegung in Caracas

In Venezuela haben die Regierung und mehrere kleine Oppositionsparteien am Montag (Ortszeit) ein Abkommen unterzeichnet, das den Weg für einen »nationalen Dialog« freimachen soll. Im Außenministerium in Caracas unterzeichneten Vizepräsidentin Delcy Rodríguez und Informationsminister Jorge Rodríguez zusammen mit weiteren Kabinettsmitgliedern ein fünfseitiges Abkommen, in dem die bisherigen Vereinbarungen festgehalten wurden. Für das Lager der Regierungsgegner unterschrieben Repräsentanten der Parteien »Bewegung zum Sozialismus« (MAS), »Progressive Vorhut« (AP), »Lösungen« (Soluciones), »Verändern wir« (Cambiemos) und »Rote Fahne« (BR). Größere Oppositionsparteien fehlen unter dem Vertrag.

In dem Papier werden einige von den Regierungsgegnern seit langem erhobene Forderungen aufgegriffen, so die Neuwahl der Mitglieder des »Nationalen Wahlrats« (CNE), der für die Durchführung von Abstimmungen auf allen Ebenen zuständigen Behörde. Zudem sagte das Regierungslager zu, dass die Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV) und die mit ihr verbündeten Parteien künftig wieder an den Sitzungen der von den Rechtsparteien dominierten Nationalversammlung teilnehmen. Die PSUV hatte ihre Mitarbeit aufgekündigt, nachdem sich das Parlamentspräsidium mehrfach über Urteile des Obersten Gerichtshofs hinweggesetzt hatte und die Richter daraufhin alle Beschlüsse der Legislative für null und nichtig erklärten.

In dem Abkommen vereinbaren Regierung und Oppositionsvertreter nun, in Arbeitsgruppen über eine »institutionelle Normalisierung« und die Überwindung des Machtkampfs zwischen den verschiedenen Staatsgewalten zu beraten. Dem eigentlichen Parlament – aber auch der Exekutive und Judikative – übergeordnet ist nämlich die vor zwei Jahren gewählte Verfassunggebende Versammlung, die jedoch von den Regierungsgegnern nicht anerkannt wird. In ihr verfügt die PSUV über eine nahezu hundertprozentige Mehrheit.

Parallel zur Unterzeichnung des Abkommens bekräftigte Venezuelas Regierung am Montag ihre Bereitschaft, die von Norwegen vermittelten Gespräche mit den größeren Oppositionsparteien wieder aufzunehmen. »Alle Türen stehen offen«, erklärte Staatschef Nicolás Maduro in einer Ansprache. Er hatte die Verhandlungen im Sommer abgesagt, nachdem die US-Administration ihre Sanktionen gegen Venezuela deutlich verschärft hatte, und den Regierungsgegnern Wortbruch vorgeworfen. In getrennten Gesprächen mit beiden Seiten hatten sich die Unterhändler Norwegens daraufhin für eine Wiederaufnahme eingesetzt.

Kein Interesse daran hat Juan Guaidó, der sich noch immer »Übergangspräsident« Venezuelas nennt. In einer am Montag verbreiteten Erklärung der »legitimen Regierung« bezeichnete er diesen nach dem Ort der Verhandlungen benannten »Mechanismus von Barbados« für »erschöpft«. Verantwortlich dafür machte er »das Regime«, das sich in den vergangenen 40 Tagen nicht zu einer Wiederaufnahme der Gespräche bereitgefunden habe. Tatsächlich hatte ursprünglich jedoch Guaidó jeden Dialog mit der Regierung abgelehnt und diesen erst akzeptiert, als sich führende Vertreter von mit ihm verbündeten Parteien zu den Gesprächen bereitgefunden hatten.

In den eigenen Reihen steht Guaidó jedoch immer mehr unter Druck. Erst in der vergangenen Woche sorgten Bilder für Unruhe, die ihn zusammen mit führenden Paramilitärs aus Kolumbien zeigen. Auf seinem Twitter-Konto, über das er sich sonst mehrfach täglich zu Wort meldet, tat sich daraufhin mehr als 24 Stunden lang nichts. Erst am Sonnabend gab es dann einen an Kolumbiens Präsidenten Iván Duque gerichteten Tweet, in dem Guaidó diesem versichert, den »entschlossenen Kampf gegen die narkoterroristischen Gruppen« zu unterstützen. Bei einer kleinen Kundgebung in Caracas behauptete er am selben Tag zu den erwähnten Fotos, er habe die Paramilitärs nicht gekannt. Anhänger mobilisieren konnte er allerdings nicht mehr: Videoaufnahmen der Veranstaltung zeigen, dass nur noch ein Häufchen von 100 bis 200 Oppositionellen den Ausführungen ihres »Übergangspräsidenten« folgte.

Erschienen am 18. September 2019 in der Tageszeitung junge Welt