»Befriedete Zonen«

Zahlreiche Hilfsorganisationen haben die Ergebnisse der am Donnerstag in London zu Ende gegangenen Syrien-Geberkonferenz begrüßt. »Diese beispiellose Hilfe wird so vielen wieder Hoffnung geben, die unter diesem furchtbaren Konflikt leiden«, zeigte sich die Exekutivdirektorin des UN World Food Programme (WFP), Ertharin Cousin, »unendlich dankbar«. Doch während ein Teil der von der deutschen Bundesregierung versprochenen 2,3 Milliarden Euro an das WFP fließen soll, ist ein anderer Teil für die Abschiebung syrischer Flüchtlinge in die Kriegsregion vorgesehen. Das kündigte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller am Donnerstag im »Morgenmagazin« des ZDF an. »Wir wollen auch Menschen wieder zurückführen, denn es gibt nicht nur diese brutalen Bilder um Aleppo und um die umkämpften Gebiete, sondern es gibt auch bereits befriedete Zonen«, behauptete der CSU-Politiker. Als Beispiel nannte er »Dohuk in der Sindschar-Region«, das er in der vergangenen Woche besucht habe.

Dohuk liegt allerdings nicht in dem Gebiet um das Sindschar-Gebirge, das im Sommer 2014 international Schlagzeilen machte, als sich Zehntausende Jesiden dort mit Hilfe der kurdischen »Volksverteidigungseinheiten« vor dem Terror der Dschihadistenmiliz »Islamischer Staat« (IS) in Sicherheit brachten. Vielmehr liegt Dohuk rund 170 Kilometer Luftlinie nordöstlich. Beiden Orten gemein ist aber, dass sie im Irak und nicht in Syrien liegen. Auf Nachfrage von junge Welt, ob Minister Müller also syrische Flüchtlinge in den Irak abschieben will oder ob er davon ausgeht, dass es auch in Syrien solche »befriedeten« Gebiete gibt, gab es vom Ministerium keine Auskunft.

Unterdessen wollen die Schutzmächte der syrischen Islamisten – Saudi-Arabien, die Türkei und die USA – mit eigenen Bodentruppen den in Bedrängnis geratenen Aufständischen zu Hilfe kommen. Der saudische Brigadegeneral Ahmed Al-Asiri sagte am Donnerstag dem Fernsehsender Al-Arabija, sein Land sei bereit, sich an einer Bodenoperation in Syrien zu beteiligen, wenn eine solche in der Führung der »Koalition« Konsens sei. US-Verteidigungsminister Ashton Carter begrüßte das Angebot aus Riad: »Diese Art von Nachrichten ist willkommen.« Er wolle die Offerte in der kommenden Woche in Brüssel mit seinem saudischen Amtskollegen diskutieren, kündigte er beim Besuch einer Luftwaffenbasis in Nevada an.

Brigadegeneral Asiri ist, wie Al-Arabija berichtet, der Sprecher der von Riad geführten Militärallianz, die seit März im Jemen mit Luftangriffen und Bodentruppen gegen die Ansarollah-Rebellen kämpft. Seither wurden dort nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP rund 6.000 Menschen getötet.

Auch die Türkei bereitet sich offenbar auf eine direkte Intervention in Syrien vor. Für diesen Verdacht habe man »nachvollziehbare Gründe«, erklärte am Donnerstag in Moskau der Sprecher der russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Er präsentierte ein Video, auf dem zu sehen sein soll, wie von der Türkei aus Panzerartillerie bewohnte Gebiete auf syrischem Staatsgebiet unter Feuer nimmt. »Es ist überraschend, dass das so eloquente Pentagon und NATO-Repräsentanten sowie die vielen Menschenrechtsorganisationen in Syrien dazu schweigen«, kritisierte er.

In Syrien rücken derweil die Regierungstruppen mit russischer Luftunterstützung weiter vor. Am Freitag konnten sie die Ortschaft Rijan bei Aleppo im Nordwesten unter ihre Kontrolle bringen. Im Süden eroberte die syrische Armee der Nachrichtenagentur SANA zufolge Atman, vier Kilometer von Daraa entfernt, das als Ausgangspunkt des Aufstands in Syrien gilt.

Erschienen am 6. Februar 2016 in der Tageszeitung junge Welt