Bachelet vor dem Sieg

Alles andere als ein klarer Wahlsieg von Michelle Bachelet in der zweiten Runde der chilenischen Präsidentschaftswahl an diesem Sonntag wäre eine Sensation – oder ein »Wunder«, wie selbst die Kandidatin des Regierungslagers, Evelyn Matthei, im Gespräch mit dem Rundfunksender Radio Bío Bío einräumte. Eine letzte Umfrage der Universität von Santiago de Chile und des Meinungsforschungsinstituts Ipsos ergab für Bachelet, die als Kandidatin des Mitte-Links-Bündnisses »Nueva Mayoría« (Neue Mehrheit) ins Rennen geht, 63 Prozent der Stimmen. Auf Matthei, die Repräsentantin des rechten Lagers, entfielen nur 33,7 Prozent. Schon die erste Runde am 17. November hatte Bachelet klar gewonnen, mit 46,6 Prozent die absolute Mehrheit aber knapp verfehlt. Deshalb muß sie sich nun der Stichwahl mit der Zweitplazierten stellen, die auf 25,1 Prozent gekommen war.

 

Am Donnerstag (Ortszeit) schloß Bachelet, die neben ihrer eigenen Sozialistischen Partei auch von den Kommunisten und den Christdemokraten unterstützt wird, im Nationalstadion von Chile vor Tausenden Anhängern ihren Wahlkampf ab. In ihrer Ansprache betonte sie noch einmal die zentralen Themen, mit denen sie schon die internen Vorwahlen und die erste Runde der Präsidentschaftswahl gewonnen hatte: eine Bildungsreform, ein verändertes Steuerrecht und die Ausarbeitung einer neuen Verfassung, die das im Kern noch aus der Zeit der Pinochet-Diktatur stammende Grundgesetz ablösen soll. Dafür sei sie vom Regierungslager angegriffen und für wirtschaftliche Probleme verantwortlich gemacht worden. Für diese müsse aber der scheidende Präsident Sebastián Piñera gerade stehen, verlangte Bachelet. Sie selbst habe sich dafür entschieden, einen sauberen Wahlkampf zu führen, und die Ergebnisse hätten ihr recht gegeben.

Trotzdem bleibt bei manchen Unterstützern Skepsis. Wenn Bachelet ihre Versprechen nicht einhalte, »dann müssen wir wieder auf die Straße gehen, so einfach ist das«, sagte die junge Journalistin Javiera Vallejo, Schwester der einstigen Studentenführerin und im November zur Abgeordneten gewählten Jungkommunistin Camila Vallejo. Javiera hat gerade ein Buch über die Proteste von 2011 herausgegeben, das den programmatischen Titel »Tage, die uns um Jahre vorangebracht haben« trägt. Es schildert die Bewegung aus Sicht ihrer Schwester und ihrer Mitstreiter Giorgio Jackson und Karol Cariola – beide ebenfalls inzwischen Abgeordnete.

Erschienen am 14. Dezember 2013 in der Tageszeitung junge Welt