Ausnahmezustand in Ecuador

In Ecuador gerät Staatschef Lenín Moreno immer mehr unter Druck. Nach zum Teil gewaltsamen Protesten gegen seine Politik hat sich der Präsident des südamerikanischen Landes Informationen des Nachrichtensenders Telesur zufolge aus der Hauptstadt Quito abgesetzt und hält sich auf unbestimmte Zeit in Guayaquil auf. Zuvor hatte er am Donnerstag den Ausnahmezustand über das gesamte Land verhängt. Trotzdem hielten die Proteste an.

Hintergrund sind am Donnerstag in Kraft getretene Maßnahmen, die von der Opposition als »Paquetazo«, als neoliberales Kürzungspaket, angeprangert werden. Dem Dekret Morenos zufolge sollen Staatsangestellte künftig nur noch 15 Tage jährlich in den Urlaub gehen dürfen – bislang waren es 30 Tage. Zudem soll ihnen ein Tageslohn monatlich als Sonderabgabe abgezogen werden, befristet Beschäftigten drohen Gehaltskürzungen von 20 Prozent. Für die größte Aufregung sorgt die Streichung von Subventionen für Diesel und Benzin. Dadurch steigen die Transportkosten und in der Folge die Preise für praktisch alle Waren des täglichen Bedarfs.

Linke Organisationen riefen daraufhin für Donnerstag zu einem nationalen Ausstand auf, während Gewerkschaften ihre Mitglieder zu »Informationsversammlungen« mobilisierten. Im Laufe des Tages kam es zu Hunderten Kundgebungen, Demonstrationen, Straßenblockaden und weiteren Aktionen. Die Beschäftigten im Transportwesen legten die Arbeit nieder, so dass die Verbindungen im ganzen Land unterbrochen waren. Der Flughafen von Quito wurde geschlossen. Wie der Airport auf seiner Homepage mitteilte, fielen auch am Freitag zahlreiche Flüge aus.

In Quito und weiteren Städten kam es immer wieder zu gewaltsamen Übergriffen von Einheiten der Armee und Polizei auf Demonstranten. Die Parlamentsfraktion der Bewegung »Revolución Ciudadana« (Bürgerrevolution), der Partei des Expräsidenten Rafael Correa, verurteilte am Donnerstag (Ortszeit) in einer Stellungnahme die Kriminalisierung des sozialen Protestes und die Verhängung des Ausnahmezustandes. Die Nationalversammlung müsse umgehend zu einer Sondersitzung zusammenkommen und diese »undemokratische Entscheidung der Regierung« zurückweisen, forderte sie. Der »Verteidiger des Volkes« – eine in Lateinamerika übliche Institution zum Schutz der Menschenrechte –, Freddy Carrión Intriago, verurteilte in der Nacht zum Freitag den überzogenen Einsatz von Gewalt durch die Einsatzkräfte und postete auf Twitter eine Videoaufnahme, auf der Polizisten zu sehen sind, die mit ihren Motorrädern offenbar gezielt über einen am Boden liegenden Demonstranten fahren. Carrión verlangte zudem Aufklärung über den Aufenthaltsort festgenommener Personen.

Moreno war 2017 als Nachfolger Correas, dessen Stellvertreter er sechs Jahre lang war, zum Präsidenten Ecuadors gewählt worden. Obwohl er im Wahlkampf versprochen hatte, dessen »Bürgerrevolution« fortzusetzen, schwenkte er nach der Amtsübernahme um und verbündete sich mit der neoliberalen Rechten.

Erschienen am 5. Oktober 2019 in der Tageszeitung junge Welt