Aufstand der Frauen

In Indien hat die brutale Vergewaltigung einer 23jährigen Studentin in Delhi Massenproteste ausgelöst. Die junge Frau war am 16. Dezember in einem Bus von sechs Männern brutal mißhandelt und mit ihrem Begleiter aus dem Fahrzeug auf eine stark befahrene Straße geworfen worden. Sie schwebt noch immer in Lebensgefahr und muß künstlich beatmet werden. Seit Tagen fordern nun vor allem Frauen eine Ende der Gewalt und Unterdrückung. Am Dienstag erlag ein Polizist seinen Verletzungen, die er am Sonntag erlitten hatte, als die Polizei in der indischen Hauptstadt versucht hatte, mit Tränengas und Wasserwerfern ein Vordringen der wütenden Demonstrantinnen – unter ihnen Medienberichten zufolge viele junge Mädchen – zum Präsidentenpalast zu verhindern. Mehr als 140 Personen wurden dabei verletzt. Die Behörden ließen Straßen abriegeln und neun Metrostationen sperren, um Aufläufe in der City zu verhindern.

 

Auch im nordostindischen Mani­pur eskalierte die Situation, als Tausende Menschen am Sonntag gegen die sexuelle Belästigung einer bekannten Schauspielerin auf die Straße gingen. Die Polizei eröffnete das Feuer auf die Demonstranten, dabei wurde der 29jährige Reporter Khwairakpam Dwijamani Singh tödlich getroffen.

Erst nach mehr als einer Woche rang sich Indiens Premier Manmohan Singh am Montag zu einer Botschaft an die Nation durch. Er bekundete der schwerverletzten Frau sein Mitgefühl und rief die Öffentlichkeit zu Ruhe und Besonnenheit auf. Die Empörung sei verständlich und gerechtfertigt, Gewalt aber sei keine Lösung. Auch Staatspräsident Pranab Mukherjee beklagte »negative Einstellungen« gegenüber Frauen. Eine Regierungskommission soll jetzt Vorschläge erarbeiten, wie speziell Delhi für Frauen sicherer gemacht werden kann. So hat die Polizei Medienberichten zufolge begonnen, die Eigentümer von Bussen und Autos zu zwingen, verdunkelte Scheiben zu entfernen. Alle Nahverkehrsmittel sollen zudem mit GPS-Systemen ausgestattet werden, um ihre Bewegung aufzeichnen zu können.

Allerdings ist auch die Polizei selbst ins Zwielicht geraten. Wie die Tageszeitung The Times of India am Dienstag berichtete, hat Delhis Regierungschefin Sheila Dikshit bei Innenminister Sushilkumar Shinde Beschwerde eingereicht, weil ranghohe Beamte Druck auf die ermittelnde Richterin ausgeübt haben sollen, als sie das Opfer nach der Tat befragte. Die Polizisten sollen die Juristin aufgefordert haben, die Befragung nicht auf Video aufzunehmen sowie einen von ihnen vorbereiteten Fragebogen zu verwenden. Gegen die Polizisten, die die Vorwürfe abstreiten, sollen nun Ermittlungen eingeleitet werden, die von Usha Mehra, einer früheren Richterin des Obersten Gerichtshofs Indiens, geleitet werden, hieß es am Mittwoch aus dem Ministerium.

Einer Statistik des Nationalen Büros zufolge, bei dem Verbrechen registriert werden, sind im Jahr 2011 allein in Delhi 572 Vergewaltigungen gemeldet worden. Die Dunkelziffer liegt jedoch weit höher, weil viele Frauen wegen der ihnen drohenden sozialen Stigmatisierung und wegen des mangelnden Vertrauens in Polizei und Justiz keine Anzeige erstatten. Im wöchentlichen Politikmagazin ­Tehelka forderte Chefredakteurin Shoma Chaudhury deshalb einen »von der Regierung geführten Blitzkrieg zur Gender-Sensibilisierung auf allen Ebenen der indischen Gesellschaft«.

Gemeinsam verfaßt mit Hilmar König. Erschienen am 27.12.2012 in der Tageszeitung junge Welt