Anschlag in Caracas: Mutmaßlich dubios

Bei vielen kritisch eingestellten Zeitgenossen gibt es die Sitte – oder Unsitte –, bei jeder Meldung über einen Anschlag sofort von einer »False Flag«-Operation auszugehen. Tatsächlich gab und gibt es immer wieder Attentate »unter falscher Flagge«, die Kräften in die Schuhe geschoben wurden, die damit nichts zu tun hatten – etwa den angeblichen Tonkin-Zwischenfall 1964, der den USA als Rechtfertigung für den offenen Kriegseintritt in Vietnam diente. Wenn man allerdings »False Flag«-Thesen aufstellt, ohne dafür handfeste Indizien präsentieren zu können, muss man sich den Vorwurf gefallen lassen, »Fake News« zu verbreiten.

Was sich derzeit nahezu alle Medien der Bundesrepublik – von Spiegel online und ARD-»Tagesthemen« bis Neues Deutschland – erlauben, fällt in genau diese Kategorie. Da wird der am Sonnabend (Ortszeit) in Caracas gegen Venezuelas Präsidenten Nicolás Maduro verübte Anschlag »dubios« und »mutmaßlich« genannt oder behauptet, es habe gar kein Attentat gegeben, sondern lediglich eine Gasflaschenexplosion in einem nahe gelegenen Wohnhaus. Kaum ein Wort davon, dass mehrere Kameraleute aus verschiedenen Perspektiven die detonierenden Drohnen gefilmt haben und Anwohner auch gegenüber Oppositionsmedien klarstellten, dass es keine Gasexplosion war. Kein Wort auch davon, dass Patricia Poleo – eine von Miami aus arbeitende Journalistin und glühende Maduro-Hasserin – unmittelbar nach dem Anschlag das Bekennerschreiben verlas.

Wen überrascht da noch, dass die Deutsche Presseagentur und mit ihr zahllose weitere Qualitätsmedien wie das Inforadio des RBB den Namen der Gruppe »Soldados de Franelas«, die sich zum Anschlag auf Maduro bekannt hat, mit »Flanell-Soldaten« übersetzt. Offenbar weiß man in den Redaktionen nicht, dass im venezolanischen Spanisch »franela« nichts anderes als Hemd oder T-Shirt bedeutet, die Gruppe sich also »Soldaten im Hemd« nennt.

Meine Meinung steht fest, verwirren Sie mich nicht mit Tatsachen: Die Leitmedien in Deutschland wollen mit aller Macht das Bild aufrechterhalten, das sie in den vergangenen Monaten und Jahren so eifrig von Venezuela gezeichnet haben. Demnach gibt es dort eine friedliche, demokratische Opposition, die sich gegen ein brutales Regime wehrt, das seine Untertanen unterdrückt und verhungern lässt. So lässt sich die Dämonisierung des gewählten Präsidenten Venezuelas weitertreiben, auf deren Grundlage dann Sanktionen oder auch eine »humanitäre Intervention« gerechtfertigt werden kann. Deshalb wurden die militanten Proteste im vergangenen Jahr so begeistert gefeiert, und deshalb wurde ebenfalls im vergangenen Jahr aus einem Terroristen, der von einem Hubschrauber aus Schüsse auf das Gebäude des Innenministeriums und des Obersten Gerichtshofs abgab, ein idealistischer Freiheitskämpfer gemacht. Wenn sie lügen wie gedruckt, bleiben nicht viele, die drucken, wie sie lügen.

Erschienen am 7. August 2018 in der Tageszeitung junge Welt