Amokläuferin des Tages: Griechische Justiz

Ein Land auszuplündern, ist keine Straftat. Steuern in Millionenhöhe zu hinterziehen, gilt maximal als Kavaliersdelikt. Tausenden Menschen durch Entlassung die Existenzgrundlage zu entziehen, ist unternehmerischer Weitblick. Wenn eine Frau jedoch alles tut, um ihre Familie durchzubringen, trifft sie die volle Härte des Rechtsstaates.

In Griechenland ist am Mittwoch eine 53jährige vorläufig aus dem Gefängnis entlassen worden. Sie war zu zehn Jahren Haft wegen Urkundenfälschung verurteilt worden, nachdem sie fast 20 Jahre lang als Reinigungskraft in einem staatlichen Kindergarten gearbeitet hatte. Auch wenn ihre Kollegen und Vorgesetzten mit ihr zufrieden waren – sie hätte die Stelle formell nie erhalten dürfen. Vorschrift für solche Jobs ist der sechsjährige Besuch der Grundschule, sie konnte jedoch nur fünf vorweisen. Also manipulierte sie 1996 ihr entsprechendes Zeugnis.

Nun gut, ein Rechtsverstoß, zweifellos. Aber dafür zehn Jahre Gefängnis? Oder gar 15, wie das Urteil vor drei Jahren in der Vorinstanz gelautet hatte? Keine mildernden Umstände für eine Frau, die einfach nur ihre Kinder versorgen wollte? Und das in einem Land, in dem millionenschwere Steuerhinterzieher straffrei bleiben?

Praktisch alle griechischen Parteien haben gegen die Verurteilung der Putzfrau protestiert, auch die »linke« Syriza von Ministerpräsident Alexis Tsipras. Sie und die von ihr gestellte Regierung müssen sich aber fragen lassen, warum sie nicht in der Lage waren, in den Jahren seit dem erstinstanzlichen Urteil solche Amokläufe der Justiz abzustellen. Die Grundlage für das Urteil gegen die 53jährige ist ein Gesetz aus dem Jahr 1950. Es sieht in »schweren Fällen« sogar noch die Todesstrafe vor. Zum Glück ist die in Griechenland inzwischen abgeschafft.

Nun will sich der oberste Gerichtshof die Akten des Falls noch einmal vornehmen. An den Strukturen wird das wenig ändern.

Erschienen am 29. November 2018 in der Tageszeitung junge Welt