Amerika übt Solidarität

Die britische Regierung hat eingeräumt, dass sie bereits Bombenangriffe auf Syrien durchgeführt hat. Am späten Montag abend gab Premierminister David Cameron vor dem Unterhaus bekannt, dass die Luftwaffe seines Landes Ende August erstmals Kämpfer der Terrormiliz »Islamischer Staat« attackiert habe. Bei dem Drohnenangriff in der Nähe von Rakka seien am 21. August drei Dschihadisten getötet worden, darunter zwei Briten.

Die syrische Regierung warf Cameron daraufhin »politische Verlogenheit« vor. Das Außenministerium in Damaskus erklärte, London habe nicht das Recht, andere über Demokratie, Menschenrechte und den Kampf gegen den Terrorismus zu belehren, »während es selbst all seine Kapazitäten und seine ›kolonialistischen Erfahrungen‹ zur finanziellen, militärischen, politischen und propagandistischen Unterstützung der terroristischen Organisationen in Syrien eingebracht« habe.

In Caracas kritisierte auch Venezuelas Präsident Nicolás Maduro das Verhalten der europäischen Mächte. Unter ausdrücklicher Berufung auf Papst Franziskus erklärte er am Montag (Ortszeit) bei einer im Fernsehen übertragenen Kabinettssitzung: »Die Menschheit wird nicht durch ›humanitäre‹ Bombenangriffe gerettet. So haben sie Syrien, Libyen und den Irak zerstört. Die Menschheit wird nicht durch die Terroristen gerettet, die von der imperialen Macht des Planeten dort eingeführt wurden. Die Menschheit kann nur durch die Solidarität gerettet werden.« Die Terroristen seien unterstützt worden, um den syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad zu stürzen. »Dasselbe haben sie im Irak und in Libyen getan – und wie sieht der Irak heute aus? Wie sieht es in Libyen aus?« Dagegen habe Venezuela, das derzeit als nicht ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat vertreten ist, seinen dortigen Botschafter Rafael Ramírez beauftragt, »zusammen mit den Großen der Welt« einen Friedensplan für Syrien auszuarbeiten. Bei dessen Umsetzung müsse Assad mit am Tisch sitzen. Maduro kündigte zudem die Aufnahme von 20.000 Flüchtlingen aus Syrien an. Diese sollten mit Hilfe der großen arabischen Gemeinde in der Bolivarischen Republik integriert werden.

Wie Venezuela haben auch andere lateinamerikanische Staaten trotz innenpolitischer und wirtschaftlicher Schwierigkeiten die Aufnahme von insgesamt mehreren zehntausend Menschen angekündigt. So erinnerte Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff am Montag (Ortszeit) aus Anlass des brasilianischen Unabhängigkeitstages daran, dass sich ihre Nation »aus Völkern unterschiedlichster Herkunft« geformt habe, die heute »trotz aller Schwierigkeiten in Frieden zusammenleben«. »Wir breiten unsere Arme aus, um die Flüchtlinge zu empfangen«, erklärte sie. Ihre Regierung sei bereit, die Menschen aufzunehmen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden und nun in Brasilien leben und arbeiten wollen.

Auch Chiles Präsidentin Michelle Bachelet kündigte die Aufnahme einer »bedeutenden Anzahl« von Flüchtlingen an. Was an den Grenzen Europas vor sich gehe, sei »eine Tragödie für die gesamte Menschheit«, erklärte sie während einer religiösen Zeremonie in der jüdischen Synagoge von Santiago de Chile. Bachelet selbst musste nach dem Putsch 1973 ihre Heimat verlassen und lebte mehrere Jahre in Australien und in der DDR. Vertreter der 300.000 Mitglieder zählenden arabischen Gemeinde Chiles hatten vor einigen Tagen dem Außenministerium einen Plan überreicht, 100 syrische Familien aufzunehmen.

Erschienen am 9. September 2015 in der Tageszeitung junge Welt