Almagro angezählt

Luis Almagro ist Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und als solcher die Stimme seines Herrn in Washington. Am Freitag (Ortszeit) nutzte er einen Besuch in Kolumbien, um Venezuela mit einer militärischen Intervention zu drohen. Diese »Option« dürfe nicht ausgeschlossen werden, erklärte er nahezu wortgleich mit früheren Äußerungen von US-Präsident Donald Trump und anderen Spitzenvertretern des Weißen Hauses und des Pentagon.

Damit ist der OAS-Chef möglicherweise einen Schritt zu weit gegangen. Am Sonnabend wiesen elf rechtsgerichtete Regierungen Lateinamerikas – die sogenannte Lima-Gruppe – die Drohungen entschieden zurück. Man sei besorgt und lehne jede Maßnahme oder Erklärung ab, »die eine militärische Intervention oder das Ausüben von Gewalt, die Androhung oder den Einsatz von Zwang in Venezuela beinhaltet«, heißt es in einem vom brasilianischen Außenministerium verbreiteten Kommuniqué. Einen Tag später jedoch legte Almagro nach und verglich die Lage in Venezuela mit dem Genozid in Ruanda und den Massakern unter Pol Pot in Kambodscha. Auch damals sei es falsch gewesen, nicht einzugreifen. Die »Verantwortung zum Schutz« der Bevölkerung in Venezuela müsse eine Option bleiben, verlangte Almagro.

Boliviens Präsident Evo Morales warf Almagro vor, sein Amt als Generalsekretär der OAS aufgegeben zu haben, »um zu einem Agenten der Putschstrategie Trumps zu werden«. Ein Angriff auf Venezuela sei ein Angriff auf ganz Lateinamerika, twitterte er.

Auch bei den Venezolanern hat sich Almagro durch seine Äußerungen keine Freunde gemacht. Einer am Sonntag veröffentlichten Umfrage des Instituts »Hinterlaces« zufolge lehnen 88 Prozent der Befragten eine ausländische Militärintervention zum Sturz von Präsident Nicolás Maduro ab. 81 Prozent sprachen sich auch gegen die von den USA und der Europäischen Union gegen das südamerikanische Land verhängten Sanktionen aus.

Diese Handelsbeschränkungen seien mitverantwortlich für die Zunahme der Emigration aus Venezuela, sagte der frühere spanische Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero am Wochenende in Brasilien der spanischen Nachrichtenagentur Efe. Zudem müsse man daran erinnern, so der Sozialdemokrat, dass Venezuela nach wie vor eines der Länder des Kontinents sei, das die meisten Einwanderer aufgenommen habe. 30 Prozent der Einwohner der Bolivarischen Republik stammten aus Peru, Portugal, Italien, Spanien, China und Kolumbien, betonte Zapatero. Nach offiziellen Zahlen leben in Venezuela allein über fünf Millionen Kolumbianer – während das Nachbarland in den vergangenen Monaten rund 800.000 Venezolaner aufgenommen hat.

Die jüngsten Wirtschaftsreformen der Regierung in Caracas haben die Lage allerdings nur bedingt stabilisieren können. Nach wie vor steigen die Preise, der neue »Souveräne Bolívar« hat seit seiner Einführung zu Monatsbeginn bereits zwischen 30 und 50 Prozent seiner Kaufkraft verloren. Und das, obwohl die Kryptowährung Petro, an die Venezuelas Bolívar offiziell gekoppelt ist, zuletzt Wertsteigerungen verzeichnen konnte. Erneut gibt es zudem das Phänomen, dass Waren, deren Preise festgelegt sind – etwa Fleisch, Eier und Milch –, in den Geschäften kaum noch zu erhalten sind.

Unterstützung soll nun aus China kommen. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro beendete am Sonntag einen dreitägigen Staatsbesuch in der Volksrepublik, zuvor hatte sich bereits Vizepräsidentin Delcy Rodríguez zu Gesprächen in Beijing aufgehalten. Die Ergebnisse der Verhandlungen bezeichnete der Staatschef als »historisch«. Man habe »jede Unterstützung für das von uns aktivierte Programm zur wirtschaftlichen Erholung erhalten«, twitterte der Präsident nach einem Treffen mit seinem Amtskollegen Xi Jinping. Dieser betonte einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua zufolge die strategische Bedeutung der langfristig angelegten Beziehungen zwischen beiden Ländern. China werde die Bemühungen Venezuelas um eine stabile Entwicklung weiter unterstützen, so Xi. Zugleich forderte er eine »pragmatische Zusammenarbeit« sowie einen engeren Austausch zwischen beiden Völkern und den Regionen, um das »gesellschaftliche Fundament der bilateralen Freundschaft« zu festigen. Bereits im Sommer hatte Beijing Medienberichten zufolge Kredite in Höhe von mehreren Milliarden US-Dollar für die Modernisierung der venezolanischen Erdölindustrie zugesagt.

Erschienen am 18. September 2018 in der Tageszeitung junge Welt