Abzug aus Deutschland

Nach einer jahrelangen Hängepartie hat sich Venezuela von seinem 50-Prozent-Anteil an der »Ruhr Oel GmbH« und deren vier Raffinerien in Deutschland getrennt. »Ich habe mich von einer großen Last befreit«, kommentierte Venezuelas Präsident Hugo Chávez diesen Schritt am Wochenende während eines Besuchs in Minsk. »Dort wurde kein venezolanisches Rohöl raffiniert, wurden keine Venezolaner beschäftigt und keine Gewinne an Venezuela gemeldet, alles blieb in Deutschland«, so der Staatschef, der damit auch der in seinem Land geäußerten Kritik entgegentrat, der Preis für die Aktien sei zu gering gewesen. Dieser soll sich auf 1,6 Milliarden US-Dollar belaufen. Der einstige venezolanische Erdölminister Humberto Calderón Berti, in dessen Amtszeit Venezuela 1983 die Anteile an »Ruhr Oel« erworben hatte, schätzt den Wert der Aktien auf mindestens das Doppelte. »Sie verschenken die venezolanischen Anteile«, wetterte er deshalb in der oppositionellen Tageszeitung El Universal.

Chávez hingegen ist der Meinung, schon der damalige Erwerb der Aktien sei ein schlechtes Geschäft gewesen. Zumal der Kaufvertrag eine »Kolonialklausel« enthalten habe, wonach Venezuela seine Anteile nicht ohne Zustimmung des Besitzers der anderen Hälfte der Anteile – der britischen BP – veräußern durfte. Das habe den Verkauf um zehn Jahre verzögert, so der venezolanische Präsident. Nun habe man mit dem russischen Staatsunternehmen »Rosneft« aber einen Käufer gefundenVenezuela werde seinerseits in Belarus eine neue Raffinerie errichten.

Hugo Chávez befindet sich derzeit auf einer Reise durch mehrere Länder Europas sowie des Nahen und Mittleren Ostens. Nach seinen Besuchen in Rußland und Belarus sowie am gestrigen Montag in der Ukraine stehen noch Syrien, Libyen, Portugal und der Iran auf seinem Reiseprogramm.

In Moskau hatte er dabei auch ein Abkommen über den Bau eines Atomkraftwerks in Venezuela durch russische Unternehmen unterzeichnet. Sein Außenminister Nicolás Maduro verteidigte diesen Schritt. Venezuela habe »wie jedes Land des Südens und der Welt« das Recht, die Kernenergie zu friedlichen Zwecken zu entwickeln. Washington, das angekündigt hatte, das Atomprojekt »ganz genau« beobachten zu wollen, fehle das moralische Recht, dies zu kritisieren, solange es nicht alle Atomwaffen in seinem Besitz vernichtet habe.

Erschienen am 19. Oktober 2010 in der Tageszeitung junge Welt