Abschiedsbrief des Tages: SPD

Über Tote nur Gutes – aber die SPD zuckt ja noch. Also sollte man noch schnell die Gelegenheit wahrnehmen, an dieser Stelle die 156jährige in der gebotenen Ernsthaftigkeit zu würdigen. Denn sie kann auf das von ihr Erreichte stolz sein. Das jedenfalls behaupten die noch lebenden ehemaligen Parteivorsitzenden. Und von denen gibt es einige – schließlich entspricht die Frequenz an Führungskrisen bei den Sozialdemokraten in etwa der Zahl der Trainerwechsel beim HSV. Allerdings haben die Übungsleiter des ehemaligen Bundesliga-Dinos ihre Fans unseres Wissens nie mit einem »öffentlichen Aufruf an die Mitglieder« behelligt. Die ehemaligen SPD-Chefs jetzt schon. Sie seien »in sehr großer Sorge um unsere Partei«, heißt es darin in einem kurzen Anflug von Realismus.

Doch dann geht es mal wieder auf gewohnte Weise in der Sozialdemokraten eigenen Grammatik weiter: »Die SPD als Volkspartei hat in den vergangenen sieben Jahrzehnten entscheidend daran mitgewirkt, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland Frieden und Freiheit, Sozialstaat und Sicherheit haben und in der Europäischen Union fest verankert sind.« Unterzeichnet haben unter anderem Gerhard Schröder und Rudolf Scharping, die politisch Verantwortlichen für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien vor ziemlich genau 20 Jahren. In ihre »rot-grüne« Amtszeit fällt auch die Einführung von »Hartz IV«, diesem Raubzug bei den Ärmsten.

Und wessen Namen stehen sonst noch unter diesem lustigen Schreiben? Entreißen wir sie kurz dem verdienten Vergessen: Hans-Jochen Vogel, Björn Engholm, Franz Müntefering, Matthias Platzeck, Kurt Beck, Sigmar Gabriel, Martin Schulz. Es fehlen Andrea Nahles – die von ihrer Partei erst vor ein paar Tagen in den Orkus gekippt worden ist – und Oskar Lafontaine. Der hat inzwischen schon das Ringen um die zweite sozialdemokratische Partei dieses Landes aufgegeben.

Erschienen am 19. Juni 2019 in der Tageszeitung junge Welt