20 Jahre »Bolivarische Revolution«: Chávez’ Vermächtnis

Der 6. Dezember 1998 war ein Einschnitt in der Geschichte Venezuelas und Lateinamerikas. Mit der Wahl von Hugo Chávez zum Präsidenten des südamerikanischen Landes heute vor 20 Jahren endete dort eine jahrzehntelange Phase formeller parlamentarischer Stabilität, die das Land als Hort der Freiheit in einem ansonsten von Militärdiktaturen beherrschten Kontinent erscheinen ließ. Doch die Mehrheit der Bevölkerung lebte in Armut. Es war Chávez, der die Anliegen der Ausgegrenzten auf die politische Agenda setzte.

Im Wahlkampf 1998 orientierte sich Chávez zunächst eher am »Dritten Weg« eines William Clinton und Anthony Blair, wie er damals in einem Interview sagte. Ursprünglich war er davon ausgegangen, dass es ausreichen würde, eine neue Verfassung zu verabschieden, um das Land aus der Krise zu führen. Er bemerkte jedoch bald, dass die Ursachen viel tiefer lagen und strukturell waren. Zudem stieß er auf den Widerstand bürgerlicher Kräfte und mächtiger Kapitalinteressen.

Während andere Staatschefs in einer solchen Situation zurückweichen, suchte Chávez nach Wegen, seine Ziele trotzdem zu realisieren. Das ging nicht ohne eine Radikalisierung. Im Januar 2005 sprach er erstmals öffentlich davon, dass man den Kapitalismus überwinden und den Sozialismus aufbauen müsse. Ab 2010 bezeichnete er sich auch als Marxisten.

Die Bilanz, die Chávez mit seiner »Bolivarischen Revolution« bis zu seinem Tod am 5. März 2013 vorzuweisen hatte, kann sich sehen lassen. Nach Kuba war Venezuela das zweite Land Lateinamerikas, das von der UNESCO zu einem »vom Analphabetismus befreiten Gebiet« erklärt wurde. Mit kubanischer Hilfe wurde die Gesundheitsversorgung für weite Teile der Bevölkerung sichergestellt, die bis dahin von ärztlicher Betreuung ausgeschlossen waren. Mit zahlreichen weiteren Sozialprogrammen wurden die Gewinne aus dem Erdölexport umverteilt. Und Venezuela setzte auf internationalistische Solidarität mit seinen Nachbarn und vom Imperialismus attackierten Staaten weltweit.

Grundsätzliche strukturelle Umbrüche gelangen jedoch nicht. Venezuela wird nach wie vor von einem ineffizienten, bürokratisierten und korrupten Staatssystem kon­trolliert. Vor allem ökonomisch gab es keine »Revolution«, auch wenn Betriebe verstaatlicht wurden. Nach wie vor ist Venezuela vom Verkauf seiner Bodenschätze abhängig, und der Verfall des Ölpreises in den vergangenen Jahren ist deshalb hauptverantwortlich für die schwere Krise, mit der es Chávez’ Nachfolger Nicolás Maduro heute zu tun hat. Sie wird verschärft durch die Sanktionen, die von den USA und der EU gegen das südamerikanische Land verhängt wurden. Denn Washington, Brüssel und Berlin ist klar: Die »Bolivarische Revolution« ist – mit all ihren Problemen und Fehlern – eine für sie gefährliche Herausforderung. Hugo Chávez hat über mehrere Jahre gezeigt, dass auch im 21. Jahrhundert eine andere Welt möglich ist. Das bleibt sein Vermächtnis.

Erschienen am 6. Dezember 2018 in der Tageszeitung junge Welt