Zweierlei Tünche

Als Linker kommt man sich dieser Tage fehl am Platz vor. Wenn in Washington Angela Davis neben John Kerry gegen Donald Trump demonstriert, ist das schwer auszuhalten. Ebenso könnte es als Dschungelprüfung durchgehen, wenn Linke in Koblenz gegen das Treffen der europäischen »Rechtspopulisten« protestieren – und sich in einer Reihe mit Sigmar Gabriel und Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn wiederfinden.

Manche ziehen daraus die Schlussfolgerung, dass der Gegner nicht mehr die Rechten sind. Weil Hillary Clinton eine üble Kriegstreiberin ist, müsse man Trump gut finden. Weil der SPD-Chef verlogen ist, habe die AfD doch irgendwie recht. Weil die EU ein geschäftsführender Ausschuss der Großkonzerne ist, müsse man auf Le Pen hoffen. Das ist dasselbe wie aus der Toilette zu löffeln, weil der Eintopf nicht schmeckt.

An so etwas wird vor allem die überall spürbare Schwäche der Linken sichtbar. Seit Jahrzehnten dominieren von Konzernen und etablierten Parteien kontrollierte Medien fast unwidersprochen den öffentlichen Diskurs. Der hat sich modernisiert – es wird auf die Wortwahl geachtet. Deshalb die laute Empörung, wenn Frauke Petry davon spricht, auf Flüchtlinge schießen lassen zu wollen – während gleichzeitig nichts dagegen unternommen wird, dass im vergangenen Jahr mehr als 5.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken sind und dieses Sterben weitergeht. Darum die Proteste dagegen, dass Trump »Obamacare« abschafft – und wenige Hinweise darauf, dass die Gesundheitsversicherung nie mehr war als eine »moderate Unterstützung für eine kleine Gruppe amerikanischer Bürger mit niedrigen Einkommen«, wie es sogar die New York Times im vergangenen Jahr formulierte.

Das transatlantische imperialistische System ist in der Krise. Global gewinnen neue Akteure an Einfluss, etwa Russland in Europa oder China in der Pazifikregion. Zugleich gelingt es der herrschenden Klasse in Nordamerika und Westeuropa immer weniger, überall die Kontrolle zu behalten. Doch die eigentlichen Gründe für diese Krise werden übertüncht. Kriege, Neoliberalismus und Ausbeutung werden nicht in Frage gestellt. Die Umweltzerstörung wird beklagt, doch diskutiert wird über kosmetische Scheinlösungen, durch die das Wirtschaften der Konzerne nicht angetastet wird.

Gleichzeitig läuft hinter und zunehmend vor den Kulissen ein Kampf innerhalb der herrschenden Klasse, wie man die eigene Macht wieder stabilisieren kann. Soll man sich weiter »modern« geben – oder will man »zurück« bis mindestens in die 50er Jahre? Beiden Seiten kommt es durchaus gelegen, wenn nur darüber gestritten wird, warum in Trumps Kabinett kein »Latino« sitzt oder ob ein Jugendlicher in der DDR den falschen Karriereweg eingeschlagen hat. Hauptsache, niemand stellt die ans Eingemachte gehenden Fragen. Denn beantworten könnte die weder die »moderne« noch die »reaktionäre« Rechte.

Erschienen am 23. Januar 2017 in der Tageszeitung junge Welt