junge Welt, 1. August 2011

Zum Schweigen bringen

junge Welt, 1. August 2011Mindestens drei Tote und 15 Verletzte hat am Samstag ein Bombenangriff der NATO auf Sendeeinrichtungen des staatlichen libyschen Fernsehens gefordert. Dabei wurde einem Bericht des Korrespondenten des lateinamerikanischen Fernsehsenders TeleSur in Tripolis, Rolando Segura, zufolge auch das Hotel in Mitleidenschaft gezogen, in dem ausländische Journalisten in der libyschen Hauptstadt untergebracht sind.

Die Attacke habe dazu gedient, »das Leben von Zivilisten zu schützen«, behauptete kurz darauf NATO-Sprecher Roland Lavoie. »Unsere Intervention war notwendig, weil das Fernsehen als ein integraler Bestandteil des Apparats des Regimes genutzt wurde und dazu diente, Zivilisten systematisch zu unterdrücken und zu bedrohen sowie zu Angriffen auf sie anzustiften.« Insbesondere fühlt sich die Militärallianz offenbar davon provoziert, daß der libysche Staatschef Muammar Al-Ghaddafi die Fernsehsender nach wie vor nutzt, um sich an die Bevölkerung zu wenden. »Ghaddafis zunehmende Praxis aufrührerischer Rundfunksendungen illustriert die Politik seines Regimes, Haß unter den Libyern zu schüren, seine Unterstützer gegen Zivilisten zu mobilisieren und Blutvergießen auszulösen, « behauptete Lavoie.

Mit ganz ähnlichen Worten hatte 1999 schon der damalige NATO-Sprecher Jamie Shea die Bombardierung des Fernsehsenders RTS im Zentrum von Belgrad gerechtfertigt, bei dem 16 Mitarbeiter des Kanals getötet worden waren. RTS sei kein Medium, sondern »voll von Regierungsangestellten, die dafür bezahlt werden, Propaganda und Lügen zu produzieren.« Dadurch sei der Sender zu einem militärischen Ziel geworden. »Wir würden niemals legitime, freie Medien ins Visier nehmen«, so Shea damals.

Was legitime, freie Medien sind, will die NATO bis heute selbst entscheiden. In den vergangenen Monaten waren über das libysche Fernsehen wiederholt Berichte über Angriffe der Aggressoren verbreitet worden, die von der Allianz zunächst dementiert wurden, dann aber zugegeben werden mußten. Nach mehr als 1000 zivilen Todesopfern und über 4000 Verwundeten seit Ende März will sich die NATO die Folgen ihrer Verbrechen offenbar nicht mehr vorhalten lassen.

Dschaled Bazilia, einer der Direktoren des libyschen Fernsehens, nannte die Angriffe einen »Akt des internationalen Terrorismus« und eine Verletzung der UN-Sicherheitsratsresolution 1973 zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung, auf die sich die NATO nach wie vor beruft. »Wir sind Angestellte des offiziellen libyschen Fernsehens. Wir sind kein militärisches Ziel, wir sind keine Armeekommandeure, und wir stellen keine Gefahr für Zivilisten dar«, unterstrich Bazilia. Auch die libyschen Journalisten hätten ein Recht darauf, sicher und unter dem Schutz des nationalen und Völkerrechts ihre Arbeit machen zu können. Trotz der Angriffe blieben die Programme zunächst auf Sendung und waren auch am Sonntag weiterhin über Internet zu empfangen.

Unterdessen zeigen sich in der heterogenen Allianz der Rebellen, die sich einen Sturz von Staatschef Ghaddafi zum Ziel gesetzt haben, immer offenere Risse. Nachdem am Donnerstag ihr militärischer Chef, General Abdel Fattah Yunis, unter nach wie vor ungeklärten Umständen ermordet worden war, starben in der Nacht zum Sonntag vier Menschen bei Gefechten zwischen rivalisierenden Fraktionen der Aufständischen.

www.ilibya.tv

Erschienen am 1. August 2011 in der Tageszeitung junge Welt und (in griechischer Übersetzung!) im Internetportal Berlin-Athen sowie am 3. August 2011 im Internetprotal economist.gr