Zoff bei den Rechten

In Venezuela ist nach der Wahl vom Sonntag heftiger Streit unter den Regierungsgegnern ausgebrochen. Eine für Mittwoch angekündigte Protestdemonstration wurde abgesagt und auf den heutigen Donnerstag verschoben, wie der Vizepräsident der Nationalversammlung, Freddy Guevara, über Twitter mitteilte. Er begründete das damit, dass die »Diktatur« an diesem Tag die Konstituierung der verfassunggebenden Versammlung durchführen wolle.

Eine Rolle bei der Absage dürften allerdings auch die Konflikte zwischen den Parteien gespielt haben, die im Oppositionsbündnis MUD (Tisch der demokratischen Einheit) zusammengeschlossen sind. Wie die den Regierungsgegnern nahestehende Tageszeitung Tal Cual berichtete, kam es am Montag bei einer Fraktionssitzung der MUD zu einem heftigen Wortgefecht. Guevara, der zur Rechtspartei Voluntad Popular (VP, Volkswille) gehört, habe dabei die Wahl neuer Mitglieder des Nationalen Wahlrats (CNE) sowie die Bildung einer Gegenregierung durch die rechte Parlamentsmehrheit gefordert. Daraufhin sei er von Henry Ramos Allup, einem Urgestein der sich als sozialdemokratisch verstehenden Acción Democrática (AD, Demokratische Aktion), brüsk unterbrochen worden. Er solle aufhören, »unverantwortliche Vorschläge« zu machen. Allup habe daran erinnert, dass das Parlament bereits einen neuen Obersten Gerichtshof (TSJ) gebildet, die Gewählten dann aber im Stich gelassen habe. Einige seien verhaftet worden, andere hielten sich versteckt.

Am 21. Juli hatten die rechten Abgeordneten 33 neue Richter des TSJ benannt, obwohl die im Dezember 2015 gewählten nicht aus dem Amt ausgeschieden waren. Begründet wurde das mit dem »Mandat« durch das am 16. Juli durchgeführte »Plebiszit«. An dieser inoffiziellen Volksbefragung hatten nach Oppositionsangaben rund 7,5 Millionen Menschen teilgenommen, was etwa einem Drittel der Wahlberechtigten entsprechen würde. Die Zahlen lassen sich nicht überprüfen, da die Unterlagen verbrannt wurden.

Venezuelas geltende Verfassung von 1999, auf die sich inzwischen auch die Opposition beruft, sieht eine solche Abstimmung am CNE vorbei nicht vor. Dagegen legt die Magna Charta fest, dass bei der Erstellung einer Kandidatenliste für den Obersten Gerichtshof die »Bürgergewalt« – bestehend aus Ombudsmann, Generalstaatsanwaltschaft und Rechnungshof – ein Mitspracherecht hat. Von den Abgeordneten wurde das ignoriert.

Hinzu kommt, dass nach Auffassung des regulären Gerichtshofs nach wie vor alle Entscheidungen des Parlaments null und nichtig sind. Hintergrund ist ein seit Anfang vergangenen Jahres schwelender Streit um drei Abgeordnete aus dem Bundesstaat Amazonas, deren Wahl im Dezember 2015 angefochten wurde. Die obersten Richter hatten angeordnet, dass die Parlamentarier bis zu einer endgültigen Entscheidung nicht an den Sitzungen der Nationalversammlung teilnehmen dürfen. Vom Parlamentspräsidium wurde das jedoch ignoriert, woraufhin die Richter die Ungültigkeit aller Beschlüsse feststellten.

Die unrechtmäßige Benennung von Richtern stellt nach Auffassung des regulären TSJ eine Straftat dar, die Rede ist von Hochverrat. Inzwischen wurden Medienberichten zufolge drei der »parallelen« Richter festgenommen, drei weitere haben sich in die chilenische Botschaft in Caracas geflüchtet.

Ob er wolle, dass die Zahl der Inhaftierten weiter steige, soll Ramos Allup am Montag seinen vorgeblichen Gesinnungsfreund angefahren haben. Freddy Guevara solle aufhören, den »Radikalen« gefallen zu wollen, es komme darauf an, sich auf die Regionalwahlen zu konzentrieren.

Die Wahlen der Gouverneure und der Parlamente in den Bundesstaaten sind vom CNE für Dezember angesetzt worden. Die Opposition steht deshalb vor einem Dilemma: Wenn sie an der Abstimmung teilnimmt, erkennt sie die Autorität der Wahlbehörde an – und damit letztlich auch das Ergebnis der Wahl vom vergangenen Sonntag. Boykottiert sie aber auch diesen Urnengang, würde sie die Gouverneursposten verlieren, die sie in diversen Bundesstaaten innehat. Es geht unter anderem um die Kontrolle der jeweiligen Regionalpolizei.

Erschienen am 3. August 2017 in der Tageszeitung junge Welt