Ziel ist die Niedriglohn-Lobby

Nur noch 29 Prozent der Beschäftigten im Einzelhandel genießen den Schutz eines Tarifvertrages, im Groß- und Außenhandel sind es mit rund 30 Prozent nicht viel mehr. Das zeigen am 19. Mai veröffentlichte Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Auch wenn sich ein weiteres knappes Drittel der Betriebe nach eigener Aussage an den geltenden Tarifverträgen »orientiert« bedeutet das, dass die Tarifbindung im Handel weiter abgenommen hat.

In den aktuellen Tarifrunden hat ver.di die Arbeitgeberverbände aufgefordert, gemeinsam die Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) der Tarifverträge zu beantragen. Mit diesem Instrument kann das zuständige Arbeitsministerium anordnen, dass die zwischen den Tarifparteien ausgehandelten Vereinbarungen für alle Unternehmen der Branche gelten – also auch für solche, die sich der Tarifbindung bisher entzogen haben. Damit würde dem laufenden Verdrängungswettbewerb ein Riegel vorgeschoben, und auch Großkonzerne wie Amazon wären dann gezwungen, Tariflöhne zu zahlen.

Eigentlich wäre die AVE also auch im Interesse vieler Handelsunternehmen, die den durch Dumpinglöhne ermöglichten Preisdruck nicht aushalten können.Die Arbeitgeberverbände agieren allerdings als Lobbyisten gerade für diese großen Konzerne – Amazon zum Beispiel ist seit Anfang 2020 Mitglied im Einzelhandelsverband HDE – und blockieren die AVE. Denn das Gesetz verlangt bisher, dass der Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit von beiden Seiten gemeinsam gestellt werden muss. Das verweigern die Arbeitgeberverbände.

AVE-Veranstaltung für 2. September geplant

Bei Warnstreiks und anderen Protesten haben die Beschäftigten im Handel in den vergangenen Wochen deutlich gemacht, dass sie eine Kursänderung erwarten. AVE übersetzen sie auf Transparenten mit »Altersarmut bekämpfen, Vernichtungswettbewerb stoppen, Existenzen sichern!« Insbesondere für die Kolleginnen und Kollegen, die in bisher nicht tarifgebundenen Unternehmen arbeiten, geht es darum, dass die Einkommen nicht nur heute zum Leben reichen, sondern dass sich aus ihnen auch existenzsichernde Renten im Alter ergeben. Lohndumping und Tarifflucht führen nämlich dazu, dass die aus den Einkommen berechnete Rentenhöhe immer weiter sinkt. Die von solchen niedrigen Renten betroffenen Menschen brauchen dann Hilfe vom Staat – letztlich bezahlen dann also wir alle die unsauberen Gewinne der Konzerne. Deshalb fordert ver.di in den Tarifrunden auch, dass im Handel kein Stundenlohn unter 12,50 Euro liegen darf.

Um die Frage der AVE ausführlich zu diskutieren, lädt ver.di Handel am 2. September zu einem Symposium »Einer für alle – Allgemeinverbindliche Tarifverträge im Handel« ein. Die Veranstaltung findet in Berlin statt, wird aber bundesweit im Internet übertragen. Es lohnt sich, diesen Termin vorzumerken!

Internet: www.ave-verdi.de

Erschienen in der Ausgabe Nr. 2/2021 des Magazins HANDEL