Zerrissene Insel

Kaum sind wir einige Minuten mit dem Mietwagen ins Landesinnere gefahren, sind wir alleine. Auf den Landstraßen zwischen Äckern und alten Bäumen kommt uns nur selten ein anderes Fahrzeug entgegen, und auch auf den abgeernteten Feldern ist kaum jemand zu entdecken. Wenn nicht gerade Markt ist, präsentieren sich auch die kleinen Orte verschlossen, abweisend zeigen sich die aus rustikalem Gestein gemauerten Häuser mit ihren schweren Türen. Trubel ist vor allem dort, wo die fliegenden Händler ihre Marktstände aufgebaut haben. Jeden Tag finden in anderen Gemeinden der Insel Wochenmärkte statt, doch inzwischen verdrängen auch hier die Verkäufer von Ramsch für die Touristen das Angebot von leckerem Gemüse der noch auf der Insel ansässigen Bauern. Gesamtwirtschaftlich hat der Tourismus die Landwirtschaft auf Mallorca längst verdrängt, nur noch etwas mehr als jeder zehnte Einwohner arbeitet auf dem Feld. Die spanische Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre hat diese Entwicklung noch beschleunigt. Demgegenüber ist der Tourismus weiter gewachsen, auch wegen der Kriege und Krisen, die Nordafrika und die östliche Mittelmeerregion erschüttern.

Bedrohtes Idyll

Doch durch die Insel zieht sich inzwischen ein Riss. Entlang der Küste haben die Hotelburgen, in die im Sommer um die 14 Millionen Besucher strömen, kaum noch etwas von einstigem Idyll übriggelassen. Allein am 7. August 2015, dem Höhepunkt der Saison des letzten Jahres, befanden sich 1.980.000 Menschen auf der Insel, die der amtlichen Statistik zufolge weniger als 860.000 Einwohner hat. Die Besucher werden von den Billigfliegern am Flughafen von Palma ausgespuckt und dann von den Bussen der Reiseveranstalter direkt zu ihren Hotels transportiert. Von dort bewegen sich die meisten nicht mehr weg, bis am Ende des Urlaubs die Fahrt zurück beginnt. Kaum ist die Saison zu Ende, spätestens Ende Oktober, veröden die Hotels, schließen die Kioske und verrammeln die Partykneipen ihre Fenster.

Auch im Sommer endet der touristische Trubel mehr oder weniger am Ortsausgang der Küstenorte. Auf eigene Faust von dort mit einem der Linienbusse ins Inland zu fahren stellt sich als langwieriges Unterfangen heraus. Für eine kurze Strecke zum Nachbarort braucht der Chauffeur fast eine Stunde, weil er einen Schlenker nach dem anderen machen muss, um auch jeden Punkt anzufahren, an dem ein Urlauber einsteigen könnte. Wer es schneller will, kann sich die pauschalen Ausflugsangebote der Reisebüros an den Strandpromenaden anschauen. Die Preise sind saftig, aber dafür bringt der Bus die Kundschaft direkt zum Ziel, etwa im Oktober zur Fira del Pebre Bord, zum Paprikafest in Felanitx. Pünktlich am Vormittag setzt der Bus die Vergnügungswilligen ab, die sich dann durch die Gassen des Ortes schieben. Gegen Mittag steigen sie dann wieder in ihr Gefährt ein, und vorbei ist der Spuk. Nun sind die Einheimischen wieder fast unter sich und bummeln bis in den Abend vorbei an den zu bunten Sträußen gebundenen Paprikaschoten und den Informationsangeboten örtlicher Vereine. Dort gehen dann die Diskussionen hoch her, und auf Mallorquí, dem regionalen Dialekt des Katalanischen, ereifert man sich über die leeren Kassen der eigenen Gemeinde und die Probleme mit der Bewässerung von Grund und Boden. Denn inmitten des Meeres ist Mallorca trocken. Der Wassermangel wird durch den immensen Verbrauch in den Hotels noch verschärft. Von dem Geld, das Millionen Vergnügungssuchende auf die Insel bringen, bleibt kaum etwas bei den Kommunen, die oft nicht wissen, wie sie etwa die mittelalterlichen Kirchen und Gemäuer restaurieren sollen.

Seit Jahrzehnten machen sich die wechselnden Regierungen der Balearen Gedanken darüber, wie sie die Bewahrung des kulturellen und historischen Erbes der Insel und den Schutz der Natur mit dem ökonomisch unverzichtbaren Tourismus in Einklang bringen können. Mitte der 90er Jahre lud man Katalanisch-Studenten aus europäischen Universitäten zu kostenlosen Studienreisen nach Mallorca ein. Die späteren Multiplikatoren, so die Hoffnung, würden das »andere« Mallorca kennenlernen und später dann als gutverdienende Akademiker teurere Angebote buchen – Kultur statt Ballermann.

Funktioniert hat das kaum, auch wenn es bei nicht mehr ganz jungen Urlaubern inzwischen zum guten Ton gehört, die schöne Landschaft zu loben. 2001 führte die damalige Mitte-links-Administration erstmals eine »Ecotaxa«, eine Ökosteuer ein, die von den Übernachtungsgästen erhoben wurde und in den Umweltschutz fließen sollte. Es gab sie nur zwei Jahre lang. Als 2003 die rechtskonservative Volkspartei (PP) mit massiver Unterstützung der Hotellobby an die Regierung zurückkehrte, schaffte sie die Abgabe sofort wieder ab.

Ohne Limit

Mitte 2015 verdrängte eine Koalition aus der sozialdemokratischen PSIB und der Linksallianz MÉS per Mallorca die PP aus der Regionalregierung. Der neue Vizepräsident und Tourismusminister Gabriel »Biel« Barceló verspricht nicht weniger als den Aufbau einer neuen Ökonomie auf den Balearen. Die Exotaxa kehrt zurück. Sofern nicht irgendwelche spanischen Gerichte den Beschluss noch kippen, werden ab dem zweiten Quartal des laufenden Jahres für jeden Touristen je nach Jahreszeit und Kategorie der Unterbringung zwischen 0,50 und zwei Euro pro Nacht fällig. Die Regierung hofft auf Einnahmen von 50 bis 80 Millionen Euro im Jahr, die zumindest teilweise in den Naturschutz und die Instandsetzung von Baudenkmälern fließen sollen.

Umweltgruppen wie Terraferida kritisieren den Beschluss jedoch als unzureichend. Durch ihn werde nicht die notwendige Reduzierung des Massenzustroms erreicht. Tatsächlich hat Barceló offenkundig dem massiven Druck der Lobbyisten und der Zentralregierung in Madrid nachgegeben. So hatte der Verband der Hotelunternehmer Mallorcas (FEHM) damit gedroht, auf Investitionen in Millionenhöhe zu verzichten. Hatte Barceló anfangs noch davon gesprochen, die Zahl der Touristen zumindest im Sommer zu beschränken, zur Not durch ein von der Regierung verordnetes Limit, ist davon nun keine Rede mehr. Dabei könnte sich die Mitte-links-Regierung eigentlich zurücklehnen, wie die Vereinigte Linke (EU) der Balearen kommentierte. Ein Ende der Kriege und Krisen werde über kurz oder lang dazu führen, dass sich die Routen der Urlauber wieder teilweise von den Balearen wegbewegen. Die jetzige Hochphase müsse deshalb genutzt werden, um die benötigten Mittel einzusammeln.

Erschienen am 10. Februar 2016 in der Beilage »Alternatives Reisen« der Tageszeitung junge Welt