Zahlenspiele in Madrid

Nach den Parlamentswahlen in Spanien wächst der Druck auf die Sozialdemokraten der Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE), der rechtskonservativen Volkspartei (PP) zur Mehrheit zu verhelfen. So definierte die Tageszeitung El País in einem Kommentar am Dienstag einfach mal neu, was die Funktionen von Opposition und Regierung sind: »Die PSOE muss nun eine verantwortungsvolle Politik der Opposition betreiben. Dies bedeutet auch, dass sie die Bildung einer konservativen Regierung unter Mariano Rajoy möglich machen muss.«

Antonio Hernando, Sprecher der PSOE-Fraktion im spanischen Parlament, hatte bei einer Pressekonferenz am Montag jedoch bereits deutlich gemacht, dass die Sozialdemokraten Rajoy bei einer Kandidatur als Regierungschef im Parlament nicht wählen werden. Auch eine Stimmenthaltung schloss er aus. Zugleich warnte er davor, die Bürger ein drittes Mal an die Urnen zu rufen, was bei einem erneuten Scheitern der Regierungsbildung unausweichlich wäre. Gerade nach der Entscheidung der Briten für einen Austritt aus der EU könne eine weitere Hängepartie in Spanien die Instabilität der Union weiter verstärken, so Hernando. »Spanien braucht eine Regierung, es müssen Entscheidungen getroffen werden.« Man warte nun darauf, dass Rajoy die Initiative ergreife »und nicht kneift, wie bei den letzten Malen«.

Damit spielte Hernando darauf an, dass sich der seit Dezember nur noch geschäftsführend im Amt befindliche Ministerpräsident im Januar auf den Auftrag zur Regierungsbildung verzichtet hatte, weil er keine Mehrheit finden konnte. PSOE-Spitzenkandidat Pedro Sánchez hatte sich dagegen im Parlament zur Wahl gestellt, nachdem er mit den rechtsliberalen »Bürgern« (Ciudadanos) ein Regierungsabkommen geschlossen hatte. Er war jedoch in beiden Abstimmungen gescheitert, weil die Linksparteien einer solchen Koali­tion die Unterstützung verweigert hatten.

Nun machen die Sozialdemokraten namentlich den Chef der Linkspartei Podemos, Pablo Iglesias, für das Scheitern der damaligen Bemühungen verantwortlich. Der trage durch seinen Versuch, die PSOE an den Rand zu drängen, die Verantwortung für die nun entstandene Situation.

Der so Kritisierte rief am Dienstag im Gespräch mit dem Fernsehsender La Sexta dazu auf, die Analysen mit kühlem Kopf vorzunehmen. Das Linksbündnis Unidos Podemos (Vereint können wir) hatte am Sonntag gegenüber der Wahl im Dezember knapp eine Million Stimmen verloren und stagnierte bei der Zahl der Abgeordneten. Iglesias rechnete jedoch anders: Innerhalb von zwei Jahren sei seine Partei von »Null« auf fünf Millionen Wählerstimmen und 71 Mandate geklettert, betonte er, wobei er die von seinen Bündnispartnern wie der Vereinten Linken (IU) mobilisierten Stimmen gleich einmal zu eigenen erklärte. Die Linke werde »weder aktiv noch passiv« eine Regierung der PP ermöglichen. Rajoy werde nur dann wieder Ministerpräsident werden, wenn dies die PSOE und die Ciudadanos zuließen, so Iglesias.

Die Sozialdemokraten halten sich bislang tatsächlich eine Hintertür offen: Die Rede ist nur davon, dass man Rajoy nicht wählen werde. Wie man sich aber verhält, wenn die PP einen anderen Kandidaten nominiert, sagt man nicht.

Das katalanische Internetportal Vilaweb rechnete derweil vor, dass noch eine ganz andere Mehrheit möglich wäre. Zwar hätten PSOE und Unidos Podemos zusammen nur 156 Sitze und seien damit 21 Mandate von der absoluten Mehrheit entfernt. Wenn die beiden großen Parteien allerdings die Unterstützung der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung – die mit 17 Sitzen im spanischen Parlament vertreten ist – sowie eventuell der zwei Abgeordneten der baskischen Linksallianz EH Bildu gewinnen könne, wäre eine Mehrheit in greifbarer Nähe. Mehr als ein Gedankenspiel dürfte dieses Szenario allerdings kaum werden. Weder die Katalanen noch die Basken würden den potentiellen Partnern ihre Unterstützung »gratis« gewähren. Das Mindeste wäre vermutlich die Erfüllung des linken Wahlversprechens, den autonomen Regionen ein Referendum über ihre Unabhängigkeit von Spanien zu ermöglichen. Die PSOE hat ein solches Zugeständnis jedoch immer ausgeschlossen.

Erschienen am 29. Juni 2016 in der Tageszeitung junge Welt