Wunderlampe

Auch fünf Tage nach dem Referendum in Ecuador über insgesamt zehn Verfassungs- und Gesetzesänderungen hat der Nationale Wahlrat (CNE) noch immer keine endgültigen Ergebnisse vorgelegt. Der auf der Homepage der obersten Wahlbehörde dokumentierte Auszählungsstand lag am Mittwoch erst bei knapp über 58 Prozent der Abstimmungslokale, insgesamt war noch nicht einmal die Hälfte der abgegebenen Stimmen ausgewertet worden. Staatspräsident Rafael Correa sprach am Dienstag abend (Ortszeit) deshalb von einer Manipulation durch Oppositionsgruppen. Die Auszählung verzögere sich gerade in den Provinzen, in denen die Unterstützung für die Regierung am größten sei, warnte der Regierungschef. Für weitere Anspannung sorgte am Dienstag um 16.30 Uhr Ortszeit einen Bombendrohung gegen den Sitz der Wahlbehörde, die sich jedoch als falsch herausstellte.

Die Probleme bei der Auszählung haben auch den Wahlrat aufgeschreckt. CNE-Präsident Omar Simon begab sich nach Guayaquil, um dort »Ordnung zu schaffen«, wie er der Nachrichtenagentur Prensa Latina sagte. Es gäbe dort ganz offensichtlich die Absicht, die Auszählung zu verzögern, räumte er ein. Offenbar infolge der unregelmäßigen Auszählung ist der zunächst ermittelte Vorsprung der »Ja«-Stimmen in den offiziell verbreiteten Zahlen zusammengeschmolzen, teilweise liegen derzeit sogar die ablehnenden Stimmen knapp vorn. Erste Nachwahlbefragungen am Tag der Abstimmung selbst hatten hingegen zunächst eine Mehrheit von mehr als 60 Prozent für das Regierungslager ergeben.

Zeitgleich sorgte das in London ansässige »International Institute for Strategic Studies« (IISS) mit Angriffen auf die Regierungen Ecuadors und Venezuelas für Aufregung im internationalen Blätterwald. Dem Rat dieses der britischen Regierung nahestehenden »Think Tank« gehören eigenen Angaben zufolge so illustre Figuren an wie der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dr. Günther Nonnenmacher, sein Kollege von der Washington Post, David Ignatius, und Prinz Faisal bin Salman bin Abdulaziz Al Saud, ein Mitglied der saudi-arabischen Herrscherfamilie. Diese Gesellschaft veröffentlichte am Dienstag einen Report unter dem Titel »Die FARC-Akten: Venezuela, Ecuador und das Geheimarchiv von Raúl Reyes«.

Inhaltlich bietet dieser als Skandal präsentierte Bericht nichts Neues. Die Informationen stützen sich wieder einmal auf die Computer, die angeblich bei dem 2008 von kolumbianischen Truppen ermordeten FARC-Comandante gefunden wurden. Tatsächlich hatten Untersuchungen bald ergeben, daß die auf den Rechnern enthaltenen Dateien manipuliert wurden und daher keinen juristischen Wert haben. Sogar der kolumbianische Oberste Gerichtshof weigert sich, die Daten als Beweismittel anzuerkennen. Trotzdem publizierte das Londoner Institut erneut die schon seit Jahren kursierenden Behauptungen: Die kolumbianische Guerilla habe den Wahlkampf des heutigen ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa finanziert, Venezuelas Staatschef Hugo Chávez habe den FARC Millionensummen versprochen, die Guerilla habe sich an der Ausbildung regierungsnaher Gruppen in Venezuela beteiligt, und auch die angeblichen Verbindungen zur baskischen ETA fehlen in dem Bericht nicht. Sowohl Quito als auch Caracas dementierten die Behauptungen sofort. Auch der kolumbianische Politologe Hernando Gómez Serrano kann dem Bericht nichts abgewinnen. In seinem Land sähe man die berühmten Computer von Raúl Reyes längst als »Aladins Wunderlampe« an, sagte er dem lateinamerikanischen Nachrichtensender TeleSur. Man müsse nur an ihr reiben, und schon käme aus ihnen alles raus, was Journalisten bräuchten, um mal wieder Stimmung zu machen.

Interessanter als die Inhalte des IISS-Berichts sind tatsächlich Ort und Zeitpunkt der Veröffentlichung. Nicht wie bislang fast immer in Bogotá, sondern in London wurden die Informationen verbreitet, und es waren neben der britischen BBC zuerst US-amerikanische Medien wie die New York Times oder der von der US-Regierung betriebene antikubanische Propagandasender Radio Martí, die sich auf den Bericht stürzten. Letzterer gab unverblümt zu, was das Ziel dieser neuen Kampagne ist: »Nach dieser Analyse geht das IISS davon aus, daß es ›unwahrscheinlich‹ ist, daß die seit dem Amtsantritt von José Manuel Santos in Kolumbien Mitte 2010 begonnene Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen Caracas und Bogotá ›von Dauer‹ sein könnte.« Die USA und die NATO haben kein Interesse an einer Entspannung in Südamerika.

Erschienen am 12. Mai 2011 in der Tageszeitung junge Welt