Publik Nr. 6/2016

»Wir sind nicht irgendeine Clique«

Orhan Akman ist wieder in Peru. Ende Juli hat die Einwanderungsbehörde in Lima die vier Monate zuvor gegen den deutschen Gewerkschafter verfügte Ausweisung aufgehoben. Das teilte das Amt in einem sechsseitigen Schreiben mit, das sich ansonsten wie eine Anklageschrift liest. Fein säuberlich werden in dem Schreiben noch einmal die Vorwürfe aufgelistet, mit denen das Verbot einer Wiedereinreise begründet worden war. Akman habe „die öffentliche Ordnung, die Ruhe und den sozialen Frieden gestört“. Trotzdem dürfe er jetzt nach Peru zurückkehren. Einen Grund für den Sinneswandel nannten die Beamten nicht.

Der Gewerkschafter schüttelt auch heute noch den Kopf über das Vorgehen der peruanischen Behörden. „Meine Ausweisung war alles andere als professionell organisiert, das war richtig dilettantisch“, sagt Orhan Akman. „Begründet wurde die Entscheidung, mich des Landes zu verweisen, mit Strafanzeigen, die gegen mich bei mehreren Polizeidienststellen in Lima vorliegen würden. Aber weder meine Anwältin noch ich haben die jemals gesehen, und als meine Kollegen direkt bei den Wachen vorbeigegangen sind, hieß es dort, dass gegen mich nichts vorliegen würde.“ Letztlich, so seine Einschätzung, sei es nur darum gegangen, etwas „zusammenzubasteln, um unsere Arbeit zu behindern“.

Akman ist Beauftragter der internationalen Dienstleistungsgewerkschaft UNI Global Union, der auch ver.di angehört. Seine Aufgabe ist, einen Beitrag zum Aufbau von Gewerkschaften in Peru und Kolumbien zu leisten. Dazu gehört auch, an der Seite der Beschäftigten an Tarifverhandlungen teilzunehmen. Vor allem in Peru können die Arbeiterorganisationen diese Unterstützung gut gebrauchen. Die Gewerkschaftsbewegung leidet bis heute unter den Folgen der Diktatur von Alberto Fujimori in den 1990er-Jahren, als Beschäftigtenvertreter verfolgt und Gewerkschaften zerschlagen wurden.

Doch die Hilfe aus dem Ausland ist den Behörden in Lima offenbar ein Dorn im Auge. Akman hatte die peruanischen Beschäftigten des chilenischen Einzelhandelskonzerns Cencosud bei deren Kampf um bessere Arbeitsbedingungen und einen Tarifvertrag unterstützt. Das Unternehmen reagierte darauf mit offenen Drohungen gegen den Gewerkschafter und ließ offensichtlich seine Verbindungen in den Staatsapparat spielen – zunächst erfolgreich.

UNI Global Union und der peruanische Gewerkschaftsbund CGTP werteten die Ausweisung Akmans als Angriff auf die Organisationsfreiheit. Während Akman in der UNI-Zentrale in Montevideo ausharren musste, wurde in Peru und in anderen Ländern Lateinamerikas gegen die Entscheidung der Einwanderungsbehörde protestiert, es gab Kundgebungen vor den peruanischen Botschaften in diversen Hauptstädten. „Die Kampagne war ein wichtiges Signal an die Unternehmer, aber auch an unsere eigenen Kollegen“, sagt Akman. „Wir haben gezeigt, dass wir uns nicht kriminalisieren lassen. Wir sind eine demokratische Organisation und nicht irgendeine Clique.“

Auch in Deutschland solidarisierten sich ver.di-Mitglieder mit ihrem Kollegen. In München, wo Akman jahrelang als Gewerkschaftssekretär gearbeitet hatte, gab es mehrere Aktionen und einen Besuch im peruanischen Generalkonsulat. Dem dortigen Vertreter Limas wurde mitgeteilt, dass sich im August eine Delegation deutscher Gewerkschaften auch in Lima aufhalten werde.

Die Reise von rund einem Dutzend vor allem bayerischer Kolleginnen und Kollegen aus ver.di und GEW nach Kolumbien und Peru war schon Monate zuvor geplant worden, doch durch das Vorgehen der peruanischen Behörden bekam sie besondere Brisanz. Das wurde offenbar auch den peruanischen Diplomaten bewusst. Die Drähte zwischen München, Berlin und Lima scheinen heiß gelaufen zu sein – und rechtzeitig vor der Ankunft der Delegation durfte Akman wieder einreisen. So konnte er seine Besucher zusammen mit peruanischen Kollegen auf dem internationalen Flughafen von Lima begrüßen. Die deutschen Gewerkschafter wurden auch zu einer Versammlung der Gewerkschafter von Cencosud eingeladen. „Ihr seht, ich bin wieder hier“, eröffnete Akman die erste Besprechung nach seiner Rückkehr, „und ich habe ein Dutzend Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland mitgebracht. Wenn sie es noch einmal wagen sollten, mich auszuweisen, werde ich mit 200 wiederkommen.“

Auf dem Weg zum Frieden

Die erste Station der Reisegruppe war jedoch Bogotá. Kolumbien erlebt derzeit eine historische Phase seiner Geschichte: Der seit mehr als einem halben Jahrhundert andauernde Krieg zwischen der Regierung und den Guerilleros der Revolutionären Streitkräfte (FARC) geht zu Ende. Am 24. August erklärten beide Seiten ihre seit 2012 in Havanna geführten Verhandlungen für abgeschlossen und den Friedensvertrag für unterschriftsreif. Wenige Tage später verkündeten beide Seiten einen „bilateralen und engültigen Waffenstillstand“. Genügend Diskussionsstoff auch für die Delegation aus Deutschland. „50 oder 60 Jahre Krieg hinterlassen Spuren, die nicht durch eine Unterschrift einfach verschwinden“, erklärte etwa Leonor Sierra, die die UNI Global Union in Kolumbien vertritt.

Gewerkschafter seien immer wieder beschuldigt worden, „Terroristen“ zu sein und die Guerilla zu unterstützen. Mehr als 2.700 Gewerkschaftsmitglieder sei­en in den vergangenen 30 Jahren ermordet worden, berichtete der Präsident des größten kolumbianischen Gewerkschaftsbundes CUT, Luis Alejandro Pedraza. Die Täter gingen fast immer straffrei aus, nur in etwa vier Prozent der Fälle konnten die Mörder ermittelt und zur Verantwortung gezogen werden.

Die CUT sowie der zweite große Dachverband, die CTC, werben gemeinsam dafür, bei dem für den 2. Oktober vorgesehenen Referendum über das Friedensabkommen mit „Ja“ zu stimmen. „Wir haben eine umfangreiche Kampagne mit Faltblättern und Videos entwickelt, um die Menschen mit den Inhalten des Abkommens vertraut zu machen“, berichtete die Vorsitzende der kolumbianischen Gewerkschaft der Bankangestellten UNEB, Sofia Espinosa. „Das entscheidende ist jetzt das Ende des Krieges, damit wir uns auf zivilisierte Weise dafür einsetzen können, die soziale Ungerechtigkeit in Kolumbien zu bekämpfen.“

Dabei hoffen die Gewerkschafter auf eine internationale Begleitung des Friedensprozesses. „Die Solidarität war überlebenswichtig“, erinnerte Leonor Sierra. Lebendig ist bei ihnen noch, dass die FARC-Guerilla vor rund 30 Jahren schon einmal die Waffen niedergelegt hatte und sich in das legale politische Leben eingliedern wollte. Paramilitärs und Drogenbanden entfesselten damals jedoch einen Vernichtungskrieg gegen die neugegründete Partei „Unión Patriótica“ (UP), dem Schätzungen zufolge rund 5.000 Mitglieder zum Opfer fielen, darunter zwei Präsidentschaftskandidaten und mehrere Abgeordnete. Eine Wiederholung dieser Verbrechen könne nur verhindert werden, wenn die internationale Öffentlichkeit die Entwicklungen in Kolumbien genau beobachte, gaben die Gewerkschafter ihren deutschen Kollegen mit auf den Weg, der sie schließlich zu Orhan Akman nach Lima führte.

Erschienen in der Nr. 6/2016 der ver.di-Publik