junge Welt, 21. November 2013

Weg frei für Maduro: Nationalversammlung verleiht Staatschef Sondervollmachten

junge Welt, 21. November 2013Venezuelas Präsident Nicolás Maduro muß nicht mehr auf das Parlament warten. Die Nationalversammlung in Caracas verabschiedete am Dienstag abend ein Gesetz, das dem Staatschef für zwölf Monate besondere Vollmachten verleiht, um per Dekret Maßnahmen im »Kampf gegen die Korruption« und zur »Verteidigung der Wirtschaft« anzuordnen. Für das Gesetz stimmten nach hitziger Debatte alle 99 Abgeordneten der sozialistischen Fraktion im venezolanischen Parlament. Das war exakt die notwendige Mehrheit von drei Fünfteln, die für das »Ley Habilitante« notwendig sind. Die Vertreter der Opposition votierten dagegen und protestierten mit Schildern im Plenarsaal gegen die ihrer Meinung nach »verfassungswidrigen« Vollmachten. Die Anhänger der Regierung warfen den Gegnern daraufhin vor, sich durch ihr Verhalten auf die Seite von Kriminellen und Korrupten gestellt zu haben. »Im Hintergrund dieser Diskussion stehen zwei gegensätzliche Modelle«, kommentierte im Anschluß Parlamentspräsident Diosdado Cabello, »Kapitalismus oder Sozialismus, Haß oder Liebe, Intoleranz oder Toleranz, das Modell von Hugo Chávez oder das Modell der die Heimat verkaufenden Bourgeoisie.«

 

Tausende Menschen hatten sich vor dem Parlamentsgebäude mit der goldenen Kuppel im historischen Zentrum von Caracas versammelt, um ihre Zustimmung zum Ley Habilitante zu zeigen. In einem langen Demonstrationszug marschierten sie anschließend mit Cabello an der Spitze zum Präsidentenpalast Miraflores, um Maduro symbolisch den in rotes Leder gebundenen Beschluß zu überreichen. Formell in Kraft traten die Sondervollmachten am gestrigen Mittwoch mit der Veröffentlichung im venezolanischen Amtsblatt, der Gaceta Oficial.

Mit den neuen Rechten im Rücken will der Staatschef vor allem eine Offensive zur Verbesserung der Versorgung in dem südamerikanischen Land starten. Seit Monaten leiden die Venezolaner darunter, daß in den privaten Supermarktketten immer wieder einzelne Waren des täglichen Bedarfs plötzlich nicht mehr zu erhalten sind, etwa Toilettenpapier oder Maismehl. Wenn die Regierung daraufhin die Importe erhöht, verschwinden plötzlich andere Waren. Verantwortlich gemacht wird dafür von den Linken eine gezielte Strategie der Unternehmen und der Opposition, die durch das Horten von Waren die Preise in die Höhe schießen lassen und durch wachsende Unzufriedenheit das Ansehen der Regierung erschüttern wollen. Tatsächlich sanken in den vergangenen Tagen die Preise vor allem für Elektronikprodukte, nachdem die Behörden mehrere Handelsketten geschlossen hatten. Diese hatten zwar einen von der Regierung subventionierten Wechselkurs für ihre Importe genutzt, die Preise dann aber ohne Rücksicht darauf festgelegt. Nun sollen die Unternehmergewinne auf 15 bis 30 Prozent begrenzt werden, wie Maduro ankündigte.

Seine Maßnahmen seien darauf gerichtet, »Kosten zu überwachen, die Produktion zu unterstützen, die Gehälter zu schützen, die Preise zu kontrollieren und zu regulieren und den Gewinnen Grenzen zu setzen«. Das erste Dekret solle dem Schutz der Konsumenten gegen Verknappung und überteuerte Waren dienen, kündigte Maduro an. »Ich werde keine weiteren Übergriffe gegen das Volk zulassen«, so der Staatschef, »der Kapitalismus, der sich an unserem Heimatland bereichert, wird in die Schranken verwiesen.«

Erschienen am 21. November 2013 in der Tageszeitung junge Welt