Wahlsieg des Krieges

In Venezuela hat die linke Bewegung eine schwere Niederlage einstecken müssen. Bei den Parlamentswahlen am Sonntag konnte die rechte Opposition einen klaren Sieg erringen und wird die Nationalversammlung künftig mit absoluter Mehrheit kontrollieren. Unklar war am Montag morgen (Ortszeit) noch, ob die Gegner von Präsident Nicolás Maduro sogar eine Dreifünftelmehrheit von 112 Mandaten erreichen konnten. Mit einer solchen könnte die bisherige Opposition zum Beispiel Änderungen der Verfassung beschließen, die dann aber in einer Volksabstimmung bestätigt werden müssten. Möglich wäre aber auch, Minister der Regierung oder Funktionäre wichtiger Gremien wie dem Obersten Gerichtshof oder dem Nationalen Wahlrat (CNE) abzusetzen. Auch eine Amtsenthebung des Vizepräsidenten wäre ihnen möglich. Dann aber könnte Präsident Nicolás Maduro, den die Opposition mit ihrer Parlamentsmehrheit legal nicht aus dem Amt drängen kann, die Nationalversammlung auflösen und Neuwahlen ansetzen.

In der Nacht zum Montag gegen 0.30 Uhr Ortszeit, mehr als fünf Stunden nach Schließung der Wahllokale, hatte CNE-Präsidentin Tibisay Lucena in einem vor dem Gebäude ihrer Behörde aufgestellten Zelt vor Hunderten Journalisten und Wahlbeobachtern die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Ergebnisse bekanntgegeben. Demnach kam die Bündnisliste der Opposition, der »Tisch der demokratischen Einheit« (MUD), auf 99 Sitze in dem 167 Abgeordnete umfassenden Parlament. Die Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV) und ihre Verbündeten erreichten demnach lediglich 46 Mandate. Die Wahlbeteiligung lag mit knapp 75 Prozent für venezolanische Verhältnisse außerordentlich hoch. In 19 Wahlkreisen sowie für die drei als Vertreter der indigenen Gemeinschaften zu wählenden Abgeordneten lagen zu diesem Zeitpunkt und bis jW-Redaktionsschluss noch keine gesicherten Ergebnisse vor.

Im Gegensatz zu früheren Wahlen warf die MUD der Regierung und dem CNE diesmal keinen Wahlbetrug vor, sondern bejubelte ihren Sieg. Noch wenige Stunden zuvor hatten Sprecher des rechten Lagers den Behörden Manipulationsabsichten unterstellt. Wegen des großen Andrangs in den Wahllokalen war die Abstimmung um eine Stunde verlängert worden, was etwa der Chef der sich als sozialdemokratisch verstehenden Partei Acción Democrática (AD), Henry Ramos Allup, als illegal bezeichnete.

Maduro trat unmittelbar nach der Bekanntgabe der Zahlen vor die Kameras und erkannte die Ergebnisse an. Mit Blick auf die seit Jahren von Unternehmern und Oppositionsgruppen betriebene Sabotage der Handelswege und der Verknappung von Waren in den Supermärkten räumte der Staatschef ein: »Die Konterrevolution und der Wirtschaftskrieg gegen Venezuela haben gewonnen.« Er rief seine Anhänger zur Geschlossenheit auf. Niemand dürfe angesichts des Ausgangs der Wahlen zusammenbrechen: »Nichts ist beendet, nichts wird gestoppt.« Nötig seien jetzt Zusammenkünfte auf allen Ebenen, um zu analysieren, was geändert werden muss, um in einer neuen Etappe der Bolivarischen Revolution zu bestehen. Seine Regierung sei bereit für die »Wiedergeburt« der Revolution. »Wir haben eine Schlacht verloren, aber der Kampf um den Aufbau des Sozialismus und einer neuen Gesellschaft beginnt erst.« Kubas Präsident Raúl Castro übermittelte Maduro seine Solidarität: »Wir sind sicher, dass neue Siege der Bolivarischen Revolution kommen werden. Wir stehen immer an eurer Seite.«

Erschienen am 8. Dezember 2015 in der Tageszeitung junge Welt