Wahlkampf gegen rechts

In der Bundesrepublik und in anderen Ländern Europas sind am Sonntag mehrere zehntausend Menschen unter dem Motto »Ein Europa für alle – deine Stimme gegen Nationalismus« auf die Straße gegangen. Zu den Aktionen hatten breite Bündnisse aus mehreren hundert Organisationen, Parteien und Verbänden aufgerufen, um eine Woche vor der EU-Wahl ein befürchtetes Erstarken ultrarechter Kräfte zu verhindern. »Nationalisten und Rechtsextreme wollen mit ihr das Ende der EU einläuten und Nationalismus wieder groß schreiben. Ihr Ziel: Mit weit mehr Abgeordneten als bisher ins Europaparlament einzuziehen. Wir alle sind gefragt, den Vormarsch der Nationalisten zu verhindern!«

Zumindest in Berlin blieb die Mobilisierung deutlich hinter den Erwartungen zurück. Waren von den Veranstaltern im Vorfeld bis zu 50.000 Teilnehmer angekündigt worden, dürfte eher ein Fünftel davon erreicht worden sein. Die Veranstalter kamen bei ihrer Schätzung auf 20.000 Menschen. Der Zug, der sich am Alexanderplatz formierte, glich über weite Teile einer Wahlkampfkundgebung der die EU befürwortenden Parteien. Mitglieder von Die Linke, Grünen und SPD bildeten eigene Blöcke, in denen vor allem um Unterstützung bei der Abstimmung am kommenden Sonntag geworben wurde: »Europa braucht Zusammenhalt, Klimaschutz und deine Stimme«. In den Farben der EU-Fahne geschminkt hatten sich junge Demonstranten, die im Namen der Diakonie zur Wahlteilnahme aufriefen. Am Rande der Demonstrationsroute versuchten Neofaschisten, mit einem Transparent zu provozieren, das sie vom Dach des Einkaufszentrums »Rathauspassagen« herunterließen. Der Stoff verfing sich jedoch in einem Bautransparent und war kaum lesbar. Wenig später kletterte ein junger Punk auf das Dach und entfernte die Hetze.

Auch in sechs weiteren deutschen Städten fanden Kundgebungen statt. Insgesamt beteiligten sich nach Veranstalterangaben rund 150.000 Menschen an den Demonstrationen. Die größte fand demnach mit 45.000 Teilnehmern in Köln statt. In Hamburg versammelten sich Polizeiangaben zufolge rund 10.000 Menschen auf dem Rathausmarkt, die Veranstalter kamen auf 15.000. Ähnliche Zahlen wurden aus München, Leipzig, Frankfurt am Main und Stuttgart gemeldet. »In Zeiten nationaler Alleingänge ist es wichtiger denn je, dass wir uns als solidarische Gesellschaft für ein Europa einsetzen. Ein Europa, das Demokratie und Rechtsstaatlichkeit über Grenzen hinweg verwirklicht und sich über Nationalismus und Abschottung hinwegsetzt«, hieß es in der Presseerklärung des Bündnisses.

Auch in Dänemark, Italien, den Niederlanden, Österreich, Polen, Rumänien, Schweden und Ungarn fanden Demonstrationen statt. In Wien, wo am Freitag abend spontan Tausende gegen rechts auf die Straße gegangen waren, blieb die Demonstration dem vom russischen Auslandssender RT verbreiteten Livestream nach übersichtlich.

Erschienen am 20. Mai 2019 in der Tageszeitung junge Welt