Wahlen in Katalonien: (Keine) Mehrheit

Es sind zwei komplett gegensätzliche Lesarten des Wahlergebnisses. Die rechte spanische Tageszeitung ABC titelte am Montag: »Katalonien sagt nein zu Mas und ja zur Einheit Spaniens«. Demgegenüber lautete die Schlagzeile der in Barcelona erscheinenden El Punt Avui: »Auf Wiedersehen, Spanien!«

Das Monarchistenblatt ABC bezieht sich darauf, dass die für die Unabhängigkeit Kataloniens eintretenden Listen bei den Regionalwahlen am Sonntag die Mehrheit der Stimmen verfehlt haben. »Junts pel Sí« (Gemeinsam für das Ja), das Bündnis um Regierungschef Artur Mas, und die linke »Kandidatur der Volkseinheit« (CUP) erreichten zusammen 48 Prozent. Auf das gesamte übrige Spektrum kandidierender Listen – von ganz rechts bis fast ganz links – entfielen 52 Prozent. El Punt Avui ihrerseits stützt sich darauf, dass »Junts pel Sí« und CUP zusammen die absolute Mehrheit der Mandate im künftigen Parlament gewonnen haben. Damit haben die beiden Kräfte theoretisch die Möglichkeit, gemeinsam das Projekt eines Bruchs mit Spanien voranzutreiben.

Das Stichwort lautet: Theoretisch. »Junts pel Sí« ist in sich ein zusammengewürfelter Haufen aus Konservativen, Sozialdemokraten und auch einigen Linken, der letztlich nur durch das gemeinsame Ziel einer Abspaltung von Spanien zusammengehalten wird. Dominiert wird diese Allianz von Artur Mas, dessen rechtsliberale Partei »Demokratische Konvergenz« (CDC) in den vergangenen Jahren in Katalonien Sozialabbau und Privatisierungen durchgesetzt hat und so keine wirkliche Alternative zum Kurs der spanischen Rechtsregierung darstellt. Demgegenüber will die CUP einen radikalen Bruch mit Monarchie und Kapitalismus. Im Wahlkampf versprach sie deshalb, auf keinen Fall Artur Mas zum Regierungschef zu wählen. Er soll als Repräsentant der alten politischen Klasse von der Bühne verschwinden. Bei »Junts pel Sí« wird das auf Widerstand stoßen, doch die Allianz hat keine anderen Koalitionsoptionen, wenn es ihr ernst damit ist, in spätestens 18 Monaten den eigenen Staat auszurufen.

Das Ergebnis der Wahlen vom Sonntag hat die Frage einer Unabhängigkeit Kataloniens wieder auf die politische Tagesordnung Spaniens gesetzt. Lluís Rabell, der Chef des nicht für die Abspaltung eintretenden Linksbündnisses »Catalunya Sí que es Pot«, forderte am Montag, nun endlich ein offizielles und mit der spanischen Zentralregierung abgesprochenes Referendum über die Gründung eines eigenen Staates durchzuführen und so eine lange politische Blockade zu verhindern. Doch obwohl die spanische Rechte gerade jubelt, dass die »Separatisten« keine Mehrheit gewinnen konnten, wird Madrid ein solches Plebiszit weiter verhindern wollen. Zuviel Demokratie war Ministerpräsident Mariano Rajoy und seiner Volkspartei PP, die einst von führenden Vertretern des Franco-Regimes gegründet wurde, schon immer ein Graus.

Erschienen am 29. September 2015 in der Tageszeitung junge Welt