Wahlbehörde weist Vorwürfe zurück

In Caracas soll sich am heutigen Freitag um elf Uhr Ortszeit die am vergangenen Sonntag gewählte verfassunggebende Versammlung konstituieren. Ursprünglich war die Eröffnung bereits für den gestrigen Donnerstag angekündigt worden, man wolle sie aber »in Ruhe und mit dem gesamten notwendigen Protokoll« durchführen, erklärte Venezuelas Präsident Nicolás Maduro am Mittwoch (Ortszeit) bei einer Versammlung mit den 545 gewählten Mitgliedern der Constituyente. Man habe Verbindung zu Vertretern der Opposition aufgenommen, damit die erste Sitzung ungestört ablaufen kann.

Ob das gelingt, ist fraglich. Die verfassunggebende Versammlung soll im »Palast der Legislative« im Zentrum der Hauptstadt zusammenkommen. Dieser ist jedoch auch der Sitz des Parlaments, und die mehrheitlich zur Opposition gehörenden Abgeordneten haben schon angekündigt, den Platz nicht räumen zu wollen. Ein Nebeneinander der beiden Versammlungen im selben Gebäude ist angesichts der aufgeheizten Stimmung derzeit nur schwer vorstellbar.

Für weitere Aufregung sorgte am Mittwoch das britische Unternehmen Smartmatic, das die in Venezuela genutzten Wahlmaschinen zur Verfügung stellt. Dessen Chef Antonio Mugica hatte bei einer Pressekonferenz in London erklärt, die vom Nationalen Wahlrat (CNE) verkündete Wahlbeteiligung sei manipuliert worden, es hätten mindestens eine Million Menschen weniger an der Abstimmung teilgenommen als offiziell mitgeteilt. Auf welcher Grundlage er diese Aussage machte, teilte er nicht mit.

Nach Angaben des CNE hatten acht Millionen Bürger ihre Stimme abgegeben, die Beteiligung lag demnach bei 41,5 Prozent. Die Präsidentin der Behörde, Tibisay Lucena, wies die Vorwürfe des Smartmatic-Chefs entschieden zurück. Sie seien »beispiellos«, sagte sie am Mittwoch abend in einer im staatlichen Fernsehen übertragenen Ansprache. Die einzige Rolle des Unternehmens im Zusammenhang mit der Wahl sei die »Bereitstellungen bestimmter Dienstleistungen« gewesen, die »für die Ergebnisse nicht entscheidend« seien. »Kein außerhalb des Landes angesiedeltes Privatunternehmen garantiert die Transparenz und Glaubwürdigkeit des venezolanischen Wahlsystems«, betonte sie. Diese verfüge über eine »Sicherheitsarchitektur«, deren Kontrolle »in den Händen der Bürgerinnen und Bürger« liege.

Lucena erinnerte auch an die Störversuche gegen die Abstimmung. 1.200 Wahllokale hätten nicht an den gewohnten Orten geöffnet werden können, weil sie belagert oder attackiert worden seien. Am Sonntag selbst habe man 200 angegriffene Wahllokale registriert. 181 Wahlmaschinen seien verbrannt worden. Hinzu kämen die von den USA auch gegen sie als Präsidentin des CNE verhängten Sanktionen, die einzig damit begründet würden, dass sie »eine allgemeine, direkte und geheime Wahl« organisiert habe.

Das Vorgehen Washingtons gegen den CNE könnte der eigentliche Grund für den überraschenden Vorstoß von Smartmatic sein, denn es bedeutet auch für das Unternehmen ein Risiko. In London hatte man bislang Vorwürfe schulterzuckend hingenommen, man habe eine zu große Nähe zur venezolanischen Regierung. Die geschäftlichen Interessen gingen vor. Nun allerdings untersagen die vom Finanzministerium in Washington verkündeten Strafmaßnahmen US-Bürgern Geschäftsbeziehungen mit den Sanktionierten – und zur Führung von Smartmatic gehört zum Beispiel der in Miami geborene David Giampaolo. Zudem will man in Nordamerika weiter Fuß fassen.

Mugica hatte bei der Pressekonferenz in London erklärt, eine Überprüfung der abgegebenen Stimmen könne die tatsächliche Beteiligung ermitteln. Stichprobenartige »Auditorías« sind im venezolanischen Wahlsystem ohnehin fester Bestandteil. Nun beantragte der Kampagnenchef der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei, Jorge Rodríguez, dass alle abgegebenen Stimmen einer Kontrolle unterzogen werden sollten, um die unterstellten Manipulationen auszuschließen.

Erschienen am 4. August 2017 in der Tageszeitung junge Welt