Wahl in Venezuela: Protest oder Terror

Das Regierungslager in Venezuela ist aus der Wahl zur verfassunggebenden Versammlung am Sonntag als eindeutiger Sieger hervorgegangen. Eine Beteiligung von mehr als acht Millionen Menschen bzw. 41,5 Prozent der Wahlberechtigten verleiht der Constituyente ausreichende Legitimität – vor allem, wenn die aus deren Arbeit entstehende neue oder geänderte Verfassung wie angekündigt vor Inkrafttreten per Referendum legitimiert wird.

Als Verlierer steht das Oppositionslager MUD (Tisch der demokratischen Einheit) da. Die von den internationalen Qualitätsmedien unkritisch wiedergegebenen Manipulationsvorwürfe an die Adresse des Nationalen Wahlrats (CNE) können überprüft werden, denn die Akten des Urnengangs liegen vor. Das unterscheidet diese offizielle Abstimmung von dem »Plebiszit«, das die MUD zwei Wochen zuvor durchgeführt hat. Ob bei diesem, wie behauptet, wirklich 7,5 Millionen Stimmen abgegeben wurden, kann niemand mehr kontrollieren – denn die Unterlagen wurden von den Organisatoren verbrannt.

Das Rechtsbündnis hat sich in eine Sackgasse manövriert: Mit weniger als dem Sturz Maduros wollte man sich nicht zufriedengeben. Nach dem »Plebiszit« ging man sogar daran, eine Gegenregierung zu bilden. Doch reale Macht, ihre Forderungen durchzusetzen, hat die Opposition nicht – das haben die vergangenen Tage erwiesen, und daran können auch die lautstarken Beschwerden und Sanktionen ausländischer Regierungen nichts ändern.

Die MUD muss sich an ihren eigenen Ankündigungen messen lassen. In der vergangenen Woche veranstaltete sie einen zweitägigen »Generalstreik« – das Ergebnis war mager. Für Freitag kündigte man unter der Losung »Besetzung von Caracas« Großdemonstrationen an, die in das Zentrum von Caracas und zum Präsidentenpalast Miraflores ziehen sollten – stattgefunden haben sie nicht. Am Sonntag sollten die Anhänger der Opposition auf der Francisco-Fajardo-Stadtautobahn demonstrieren, »dass wir Millionen sind«, wie Parlaments­vizepräsident Freddy Guevara tönte – zu sehen war davon kaum etwas.

Übrig geblieben von der Bewegung gegen die Regierung von Präsident Nicolás Maduro, die im vergangenen Jahr oder zu Beginn der aktuellen Protestwelle im April noch Zehntausende Menschen mobilisieren konnte, sind kaum mehr als die Barrikaden junger Straßenkämpfer. Die Regierungsgegner beklagten am Sonntag 15 Tote, während die Behörden erklärten, dass es im Zusammenhang mit den Wahlen keine Todesfälle gegeben habe – ein Widerspruch ist das nicht. Internationale Nachrichtenagenturen wie Reuters verbreiteten Fotos, wie an Barrikaden vermummte Oppositionelle mit Feuerwaffen auf Polizisten schießen. Im Mittelschichtsviertel Altamira wurden Beamte durch eine Bombenexplosion verletzt. Das ist Terrorismus – und kein Protest gegen Wahlen.

Erschienen am 1. August 2017 in der Tageszeitung junge Welt