Vorsichtiger Blick hinter die Kulissen

Was für deutsche Fernsehzuschauer die »Tagesschau« ist, ist für Österreicher die »ZiB«, die »Zeit im Bild«. Zehn Jahre lang war Gerald Groß eines der Gesichter dieser Nachrichtensendung, die in beiden Programmen des ORF läuft. 2011 gab er seinen Job dann auf und machte sich als »Medientrainer« selbständig. Ganz nebenbei schrieb er ein Buch, in dem er aus seinen Erfahrungen beim österreichischen Rundfunk plaudert.

 

»Hinter den Kulissen der TV-Nachrichten« verspricht der Untertitel von »Making News«, das zum Beispiel enthüllen will, wie bestimmte Leute Experten werden, die immer wieder eingeladen werden, und andere nicht. Oder was Moderatoren eigentlich machen, wenn sie nicht auf Sendung sind.

Um es gleich zu sagen: Das Buch liest sich gut, auch für Leser, die mit der österreichischen Politik nicht so vertraut sind. Anekdoten über Pannen und Mißgeschicke wechseln sich mit Erinnerungen an Weltereignisse ab, die alle im Fernsehen verfolgt haben, die meisten vor dem Bildschirm, manche vor der Kamera. So beschreibt Groß jenen 11. September 2001, als die Anschläge von New York und Washington nicht nur den Tagesablauf von Journalisten über den Haufen warfen: »Eine knappe Viertelstunde später begrüßte Hannelore Veit die Zuschauer in ORF 2 mit den Worten: ›Guten Tag, meine Damen und Herren! Anschlag auf das World Trade Center in New York! Ich begrüße Sie zu einer kurzen Sondersendung!‹ Sie konnte ebenso wenig wie alle anderen Beteiligten ahnen, daß daraus die längste Sondersendung werden sollte, die der ORF jemals ausstrahlte: 43 Stunden lang wurde von nun an live und ohne Unterbrechung gesendet!«

An diese Mammutsendungen, in denen stundenlang immer wieder die gleichen Bilder der in die Zwillingstürme rasenden Flugzeuge gezeigt wurden, ohne daß es wirklich etwas Neues zu berichten gab, können sich die meisten noch erinnern. Auch deshalb lesen sich die Details eines solch abenteuerlichen Arbeitstages spannend und unterhaltsam, Gerald Groß versteht sein Geschäft. Doch er bleibt an der Oberfläche. Das »hinter den Kulissen« beschränkt sich leider meist darauf, wie Kleidungsprobleme gelöst oder technische Schwierigkeiten umgangen werden. Es ist ein Geplauder am Stammtisch, wo neugierigen Laien Geschichten aus dem Alltag erzählt werden. Andere Bereiche, die wirklich »hinter den Kulissen« stattfinden, streift Groß nur am Rande. Eigentlich geht er erst in seinem Nachwort auf die Frage ein, ob im ORF tatsächlich so viel politisch interveniert wird, »wie man immer hört«. Seine Antwort: »Ja. Täglich. Und wahrscheinlich noch viel mehr, als Sie glauben!« Aber da seien die meisten Kollegen im ORF vor. »Die wirkliche Gefahr für den ORF und seine Unabhängigkeit geht nicht von direkt vorgebrachten Begehrlichkeiten aus, sondern vom Versuch der Politik, die Organe des ORF zu korrumpieren.« Doch wer bei dieser Aussage angekommen ist, hat das Buch bereits durchgelesen, denn sie steht auf der letzten Seite – direkt vor den Danksagungen.

So liefert Gerald Groß nicht viel mehr als es auch »Pleiten, Pech und Pannen«-Shows im Fernsehen tun, die Versprecher und Ausfälle ausschlachten. Das aber hat er gut aufgeschrieben, so daß sein Buch für den einen oder anderen gemütlichen Schmöker­abend gut ist. Wer aber tatsächlich Aufklärung darüber sucht, wie die Mechanismen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ablaufen – ob hierzulande oder in Österreich – dürfte anderswo besser bedient sein

  • Gerald Groß: Making News – Hinter den Kulissen der TV-Nachrichten. Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2013. 192 Seiten, 22 Euro

Erschienen am 28. November 2013 in der Tageszeitung junge Welt