Vorsicht, Fälscher!

Die Beschäftigten von Galeria Karstadt Kaufhof haben derzeit genügend Sorgen: Der Kahlschlagkurs von Geschäftsführung und Insolvenzverwalter gefährdet die Zukunft des Unternehmens und damit auch die Existenzgrundlage von tausenden Kolleginnen und Kollegen.

Mit vielen kreativen und mutigen Aktionen wehren sich die Beschäftigten und Betriebsräte deshalb zusammen mit ihrer Gewerkschaft ver.di gegen die Schließung von Filialen und Massenentlassungen. Und das zeigt erste Erfolge: Zuletzt konnte für sechs Kaufhäuser durchgesetzt werden, dass sie offenbleiben. Auch an den anderen Standorten geht der Kampf weiter.

Doch es gibt Störfeuer: Ende Juni wurden Kolleginnen und Kollegen von einem Flugblatt überrascht, in dem ver.di vorgeworfen wird, in den jüngsten Tarifverhandlungen einen „exklusiven Mitgliederbonus“ ausgehandelt zu haben.

Es geht darum, dass ver.di-Mitglieder bei Galeria Karstadt Kaufhof jährlich einen Warengutschein in Höhe von 270,- Euro erhalten, 2021 sogar für 500,- Euro. Das sei „moralisch höchst zweifelhaft und fragwürdig“, heißt es in dem Pamphlet einer Gruppe, die sich „DHV – Die Berufsgewerkschaft e.V.“ nennt.

Wer zuvor noch nie etwas von dieser Gruppe gehört hat, braucht sich nicht zu wundern – es handelt sich um eine kleine Organisation von zweifelhaftem Charakter.

Zuletzt im Mai 2020 hat das Landesarbeitsgericht Hamburg entschieden, dass „DHV – Die Berufsgewerkschaft e.V.“ mangels Stärke nicht tariffähig und damit de facto keine Gewerkschaft ist, weil ihr „die erforderliche Durchsetzungskraft in den von ihr zuletzt beanspruchten Zuständigkeitsbereichen inzwischen fehlt“, so die Richterinnen und Richter.

Auf Deutsch: Weil sie zu klein ist, kann sie – selbst wenn sie wollte –  für ihre Mitglieder nichts herausholen.

Verraten und verkauft: die Rolle von DHV bei real,-

Trotzdem taucht diese Gruppe immer wieder auf – meist zum Schaden der Kolleginnen und Kollegen. So ermöglichten DHV-Funktionäre 2018 durch ihre Unterschrift deutlich schlechtere Arbeitsbedingungen für Neueingestellte bei real,- – ein Manöver der Metro-Geschäftsführung gemeinsam mit dem DHV zu Lasten von Tausenden Beschäftigter.

Das Management war per Betriebsübergang aus dem von ver.di unterzeichneten Flächentarifvertrag geflüchtet, um einen mit dem DHV vereinbarten Tarifvertrag anzuwenden. Das führte bei real,- für die Beschäftigten zu durchschnittlich 23 Prozent weniger Geld und längeren Arbeitszeiten bei Neueinstellungen.

Die braune „Gewerkschaft“

„DHV – Die Berufsgewerkschaft e.V.“ verkündet stolz, dass man „seit 1893“ aktiv sei. Das lädt dazu ein, sich die Geschichte dieser Organisation, die sich damals „Deutschnationaler Handlungsgehilfen-Verband“ (D.H.V) nannte, genauer anzusehen.

Die Organisation bekannte ganz offen, „aus dem Antisemitismus heraus geboren“ worden zu sein. In der Satzung wurde festgelegt, dass „Juden und nachweislich von Juden abstammende Personen von der Aufnahme ausgeschlossen“ waren. Auch Frauen wurde die Mitgliedschaft verweigert.

Ein Hauptfeind des DHV, dessen Mitglieder oft als Händler in kleinen Geschäften tätig waren, wurden die damals entstehenden Warenhäuser wie Karstadt. Diese „jüdischen Kaufhäuser“ seien eine Gefahr für die „deutschen Geschäfte“, tönte der DHV: „Sieht man sich in der Nähe eines solchen Warenhauses um, so wird einem auffallen, wie wenig anständige Geschäfte sich in der Gegend befinden.“

Schon ab Mitte der 1920er Jahre pflegte der DHV Kontakte zu den Nazis, mit denen spätestens in den 1930 Jahren wohl die Mehrheit der Mitglieder sympathisierte. Hunderte DHV-Angehörige, unter ihnen hauptamtliche Verbandsangestellte, saßen für die NSDAP in Parlamenten, auch im Reichstag.

Offen sprach man sich für eine Koalition von Nazis und Zentrumspartei mit Hitler als Regierungschef aus. Als dieser 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, schickte der DHV prompt ein Glückwunschtelegramm. Und als die Faschisten am 2. Mai 1933 die Gewerkschaftshäuser stürmen, bleiben die Gebäude des DHV auf Befehl von ganz oben unangetastet.

Der DHV wurde zum organisatorischen Sammelbecken der männlichen kaufmännischen Angestellten innerhalb der „Nationalsozialistischen Angestelltenschaft“. Erst anderthalb Jahre später gingen die restlichen Strukturen des DHV in der „Deutschen Arbeitsfront“ auf.

Neuer Name – alte Gesinnung

Nach 1945 verboten die Alliierten eine Wiedergründung des DHV aufgrund seiner antisemitischen und nationalistischen Positionen. Doch kurz nach der Gründung der Bundesrepublik konstituierte sich am 1. Oktober 1950 der „DHV Berufsverband der Kaufmannsgehilfen“, der sich 1952 den an die Ursprungsbezeichnung von 1893 angelehnten Namen „DHV – Deutscher Handlungsgehilfen-Verband, Gewerkschaft der Kaufmannsgehilfen“ gab.

An der Spitze standen alte Kameraden: Der Gründungsvorsitzende Karl Hahn hatte schon ab 1924 für den „alten“ DHV gearbeitet und auch unter den Nazis hohe Funktionen bekleidet. Sein den Verband von 1953 bis 1958 führender Nachfolger Fritz Irwahn stand ebenfalls in dieser braunen Tradition und hatte 1934 einen „Ratgeber“ für die Durchführung der „Feste der Arbeit“ herausgegeben.

Noch nach dem Krieg verteidigte Irwahn als DHV-Vorsitzender den Antisemitismus des „alten“ DHV damit, dass Juden „im Geld- und Bankwesen sichtbar in Erscheinung getreten“ seien und „in den großen kapitalistischen Warenhäusern eine führende Rolle“ gespielt hätten.

Den Unternehmern war eine solche „Gewerkschaft“ hochwillkommen, und sie ließen sich nicht lumpen, ihr mit einer großzügigen Anschubfinanzierung unter die Arme zu greifen. So spendete die Firma Oetker 1952 dem DHV 10.000 D-Mark – damals sehr viel Geld und in etwa das Zwanzigfache der gesamten jährlichen Mitgliedsbeiträge des DHV.

Als der DHV bei den Westberliner Behörden beantragte, ihm das Vermögen des alten DHV zu übertragen, lehnte dies die zuständige Kommission am 12. Mai 1953 ab: Die Abhängigkeit von Zuwendungen der Unternehmer sei „mit den Grundsätzen einer echten Gewerkschaft unvereinbar“. Erst 1956 erkannte das Hamburger Arbeitsgericht den DHV als Gewerkschaft an und begründete das damit, dass der DHV aufgrund gestiegener Mitgliedszahlen nicht mehr auf das Wohlwollen der Gegenseite angewiesen sei.

DHV: Krücke des Kapitals

Tatsächlich jedoch hat sich die Rolle des DHV in den folgenden Jahrzehnten kaum gebessert. Immer wieder diente er sich den Unternehmern als willfähriges Hilfsinstrument an, um Belegschaften zu spalten und mit Dumping-Tarifverträgen die Gewerkschaftsautonomie zu unterlaufen.

2008 berichtete das ARD-Magazin „Panorama“ darüber, wie Unternehmen Beschäftigte mit Geld zu einer Mitgliedschaft im DHV bewogen, um so eine Präsenz dieser „Gewerkschaft“ im Betrieb zu haben und dadurch mit ihr Tarifverträge abschließen zu können. Und der DHV selbst, so belegten es die Recherchen der Journalisten, zeigte sich offen für die Unterzeichnung eines Gefälligkeitstarifvertrages, wenn dafür einige tausend Euro flossen.

Reporter des Magazins hatten sich als Unterhändler eines finanzkräftigen Investors ausgegeben, der in der Lausitz ein städtisches Pflegeheim mit 80 Mitarbeitern aufkaufen wollte. Bei einem Treffen mit einem hohen DHV-Funktionär stellte dieser gegen indirekte finanzielle Unterstützung einen Tarifvertrag innerhalb von zwei bis drei Wochen in Aussicht – inklusive Streichung von Nacht- und Sonntagszulagen sowie von Weihnachts- und Urlaubsgeld.

Mitte 2009 erklärte das Bundesarbeitsgericht einen vom DHV mit dem Deutschen Roten Kreuz in Sachsen abgeschlossenen Tarifvertrag für ungültig, weil der Verband laut eigener Satzung nur Beschäftigte in kaufmännischen und Verwaltungsberufen vertreten dürfe. Beim DRK seien jedoch vor allem Pflegekräfte, Ärzte, Rettungssanitäter, Reinigungskräfte und Küchenhilfen angestellt.

Der DHV reagierte darauf, indem er 2014 seine Satzung änderte und in der Neufassung seine Tarifzuständigkeit auf alle möglichen Bereiche erweiterte, unter anderem auf private Banken und Bausparkassen, Waren- und Kaufhäuser, Verbrauchermärkte, Versandhandel, gesetzliche Krankenkassen, private Alten- und Behindertenpflege, private Krankenhäuser, Rettungsdienste, Arbeiterwohlfahrt, Deutsches Rotes Kreuz, Textilreinigung und Fleischwarenindustrie. In den allermeisten dieser Bereiche hat der DHV, der nach eigenen Angaben insgesamt rund 73.000 Mitglieder zählt, keinerlei nennenswerte Präsenz.

Genau deshalb wird ihm in den jüngsten Urteilen von Landes- und Bundesarbeitsgerichten die Tariffähigkeit abgesprochen: „Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat das Landesarbeitsgericht nunmehr ermittelt, dass der DHV die erforderliche Durchsetzungskraft in den von ihr zuletzt beanspruchten Zuständigkeitsbereichen inzwischen fehlt. (…) Auch eine langjährige Teilnahme der DHV am Tarifgeschehen seit der Satzungsänderung 2014 hat das Landesarbeitsgericht nicht feststellen können,“ heißt es im Urteil des Hamburger LAG vom 22. Mai 2020.

Der DHV ist also keine Gewerkschaft, sondern ein Vehikel, um die Beschäftigten zu verwirren, zu spalten und den Unternehmern Liebesdienste zu erweisen. Das sollte jede und jeder wissen, bevor sie oder er sich mit solchen Leuten einlässt.

Literaturangaben

Verfasst gemeinsam mit Orhan Akman

Erschienen am 13. Juli 2020 auf handel.verdi.de