Vor laufenden Kameras

Als Venezuelas Präsident Nicolás Maduro am Donnerstag abend um 20 Uhr Ortszeit dem apostolischen Nuntius Aldo Giordano das Wort erteilte, um einen Brief des Papstes zu verlesen, zeichnete sich schon ab, daß die Sitzung bis in die Morgenstunden dauern würde. Im Regierungspalast Miraflores hatten sich zwei Dutzend führende Politiker des Regierungslagers und der Opposition zusammengefunden, um von Angesicht zu Angesicht ihre gegensätzlichen Positionen zu diskutieren. Der Auftakt zu dem von der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) vermittelten Dialog wurde von allen Rundfunk- und Fernsehsendern des Landes übertragen.

 

Zwar hatte es in den vergangenen Wochen mehrfach Gesprächsangebote der Regierung gegeben, und einige Abgeordnete der Opposition waren den Einladungen von Präsident Maduro auch gefolgt. Nun jedoch hatten sich zum ersten Mal die meisten Hauptfiguren des rechten Lagers zum Gespräch bereit gefunden, nachdem das Kabinett die Bedingungen der Regierungsgegner für die Teilnahme erfüllt hatte: die Begleitung des Dialogs durch unparteiische Dritte – UNASUR und Vatikan – sowie die komplette Direktübertragung der Veranstaltung in Radio und TV. Der radikale Flügel der Opposition verweigerte die Gespräche trotzdem. »Beim Versuch, Maduro und die Diktatur reinzuwaschen, könnt ihr mit mir nicht rechnen«, erklärte der Oberbürgermeister von Caracas, Antonio Ledezma.

In dem mit Bildern des Nationalhelden Simón Bolívar geschmückten Versammlungssaal war zu spüren, daß sich Oppositionsvertreter wie der Generalsekretär der rechtssozialdemokratischen »Demokratischen Aktion« (AD), Henry Ramos Allup, durch ihre radikalen Bündnispartner unter Druck gesetzt fühlten. Er räumte ein, daß die Teilnahme an den Gesprächen für die Opposition »einen politischen Preis« habe. Zugleich kritisierte er, daß die Regierung die Verfassung verletze, weil in dieser nicht von Sozialismus und Revolution die Rede sei. Auch die Charakterisierung der Streitkräfte als antiimperialistisch und chavistisch durch führende Offiziere widerspreche der Magna Charta und sorge für Unzufriedenheit in den Kasernen. »Putsche werden nicht von Zivilisten, sondern von Militärs durchgeführt«, warnte Allup und erinnerte daran, daß auch der Staatsstreich 2002 gegen Hugo Chávez von dessen Oberkommando durchgeführt worden sei. Damals allerdings hatten die Putschisten umgehend den Chef des Unternehmerverbandes Fedecámaras, Pedro Carmona, zum »Präsidenten« gekürt, und Dutzende »Repräsentanten der Zivilgesellschaft« hatten dessen Selbstermächtigung unterzeichnet. Allup gehörte nicht zu diesen, im Gegensatz zu auch heute noch aktiven Politikern wie María Corina Machado und Leopoldo López, der wegen seiner Verwicklungen in die Ausschreitungen der vergangenen Wochen in Untersuchungshaft sitzt.

Zum Auftakt der Gesprächsrunde hatte Präsident Maduro dazu aufgerufen, ein Modell des friedlichen Zusammenlebens zu entwickeln. Dazu gehöre unter anderem, Gewalt in den politischen Auseinandersetzungen zu verurteilen und die venezolanische Verfassung anzuerkennen. Zugleich unterstrich er, daß das Ziel des Dialogs nicht sei, einen »Pakt« zu erreichen oder Verhandlungen zu führen. Vielmehr gehe es darum, die Meinungsunterschiede anzuerkennen und zu tolerieren. Dazu diente auch ein Treffen zwischen Maduro und oppositionellen Gouverneuren am Freitag im Präsidentenpalast.

Am selben Tag verbreitete die venezolanische Regierung auch eine aktuelle Bilanz der Staatsanwaltschaft über die Folgen der wochenlangen Gewalt. Demnach wurden seit dem Beginn der Unruhen Mitte Februar 39 Menschen getötet und 579 verletzt. Die Statistik berücksichtigt allerdings noch nicht den Polizisten José Cirilo Darma García, der am Donnerstag den schweren Schußverletzungen erlegen war, die er einige Tage zuvor in Barquisimeto beim Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen eine gewalttätige Gruppe erlitten hatte. Wer die tödlichen Schüsse abgegeben hat, ist bislang unklar.

Erschienen am 12. April 2014 in der Tageszeitung junge Welt