Vor 25 Jahren begann die Revolution

Am 4. Februar 1992 – vor 25 Jahren – versuchte in Venezuela eine vom Oberstleutnant Hugo Chávez geführte Gruppe von Soldaten, die Regierung zu stürzen. Die Rebellion gilt heute als der Beginn der »Bolivarischen Revolution« in dem südamerikanischen Land.

»Wir wollten nie einen klassischen Militärputsch durchführen, um die demokratischen und Menschenrechte zu verletzen«, betonte Chávez Jahre später in einem 2013 unter dem Titel »Mein erstes Leben« als Buch veröffentlichten Gespräch mit dem Journalisten Ignacio Ramonet. »Wir verstanden uns als Soldaten eines Volkes und nicht als Schlächter im Dienst der Oligarchie und ihrer Gringo-Freunde.«

Chávez hatte schon Jahre zuvor innerhalb der Streitkräfte eine illegale Organisation gegründet, die »Revolutionäre Bolivarische Bewegung« (MBR-200). Die Zahl stand dabei für den 200. Geburtstag des Nationalhelden Simón Bolívar (1783–1830). Die illegale Gruppe beschränkte sich zunächst darauf, die Lage in Venezuela zu diskutieren und weitere Offiziere für eine mögliche Rebellion zu gewinnen.

Am 27. Februar 1989 kam es in Caracas zu einer spontanen Rebellion der ausgegrenzten Bevölkerung, die vom Militär blutig niedergeschlagen wurde. Ausgelöst hatte die Unruhen der gerade zum Präsidenten gewählte Sozialdemokrat Carlos Andrés Pérez. Im Wahlkampf hatte er soziale Verbesserungen versprochen – doch eine seiner ersten Amtshandlungen bestand darin, in großem Umfang Kürzungen anzuordnen und Subventionen zu streichen. Eine Folge war, dass die Busfahrpreise praktisch über Nacht drastisch anstiegen. So konnten Tausende nicht mehr aus den Elendsvierteln am Stadtrand von Caracas zu ihrer Arbeit im Zentrum gelangen. Daraufhin begannen Proteste und Plünderungen. Die Antwort der Regierung war blutig. Innerhalb einer Woche wurden mehrere tausend Menschen durch Polizisten und Soldaten umgebracht.

»Als Carlos Andrés Pérez das Militär auf die Straße schickte, um die soziale Explosion zu unterdrücken, und es dieses Massaker gab, analysierten wir bolivarischen Militärs, dass es nun für uns keine Umkehr mehr gab. Wir entschieden, dass wir zu den Waffen greifen müssten«, erinnerte sich Chávez 2002 im Gespräch mit der chilenischen Soziologin Marta Harnecker.

Am 4. Februar 1992 setzte sich Chávez mit 300 Angehörigen eines von ihm befehligten Fallschirmjägerbataillons nach Caracas in Marsch, um den Präsidentenpalast, den Militärflughafen La Carlota und andere strategisch wichtige Punkte zu besetzen. Seinen Kommandostützpunkt richtete er im Militärgeschichtlichen Museum ein, einer unweit des Präsidentenpalastes Miraflores gelegenen früheren Kaserne. Mitverschwörer erhoben sich in Maracaibo, Maracay und Valencia. Doch während die Rebellen im Landesinneren erfolgreich operierten, scheiterte der Aufstand in der Hauptstadt. Mehrere linke Gruppen, die im Vorfeld Unterstützung zugesagt hatten, ließen die Rebellen im Stich. Offenbar gab es auch undichte Stellen, so dass regierungstreue Truppen den Staatschef in Sicherheit bringen konnten.

Als Chávez die Lage klar wurde, entschied er sich zur Kapitulation. Doch er hatte keine Verbindung mehr zu den rebellierenden Einheiten in den anderen Städten. Damit auch diese die Waffen streckten, musste das Oberkommando Chávez im Fernsehen sprechen lassen. Seine zweiminütige Rede ging in die Geschichte ein. Er übernahm die Verantwortung für die Ereignisse und erklärte, die Ziele seien »por ahora« – fürs erste – nicht erreicht worden. Dieses »Por ahora« wurde in Venezuela als Ankündigung weiterer Versuche verstanden.

Hugo Chávez und seine Mitverschwörer wurden inhaftiert, doch bereits 1994 freigelassen. Der neue Staatschef Rafael Caldera, der 1993 unter anderem deswegen gewählt worden war, weil er Verständnis für die Rebellion der Offiziere geäußert hatte, begnadigte die Aufständischen unter der Bedingung, sich aus dem aktiven Militärdienst zurückzuziehen. In der Folge entwickelte Chávez als Zivilist aus seiner Untergrundorganisation MBR-200 die legale Partei Bewegung Fünfte Republik (MVR). Am 6. Dezember 1998 wurde Chávez mit 57 Prozent der Stimmen zum neuen Präsidenten Venezuelas gewählt.

Der 4. Februar 1992, der »4-F«, blieb das Symbol des von Chávez geführten revolutionären Prozesses. Als er am 5. März 2013 starb, wurde der Sarkophag mit seinem Leichnam in seinem ehemaligen Kommandoposten, dem Militärgeschichtlichen Museum, aufgestellt. Über dem Dach der Bergkaserne leuchten rot die Buchstaben »4-F«.

Erschienen am 4. Februar 2017 in der Tageszeitung junge Welt