Vier Monatsgehälter

Im Januar feierte Mario López in Havanna seinen 20. Geburtstag. Glückwünsche bekam er nicht nur von seinen Freunden in der kubanischen Hauptstadt, sondern auch aus dem fernen Jena. Hier lebt und studiert Marcel Kunzmann, der sich für Kuba engagiert und die Insel in der Karibik gern besucht. Die beiden jungen Männer hatten sich im vergangenen Jahr kennengelernt, halten seither über Internet Kontakt und diskutieren die jüngsten Entwicklungen Kubas. Doch bisher fehlte der Gegenbesuch in Deutschland. Der sollte nun über die Weihnachtstage stattfinden, am 16. Dezember wollte Mario mit einem weiteren Bekannten in Deutschland landen und einige Wochen mit Marcel und anderen Freunden verbringen.

 

Wenige Tage nach Marios Geburtstagsfeier im Januar hatte die kubanische Regierung bisher geltende Reisebeschränkungen für ihre Bürger aufgehoben. Bis dahin mußten Kubaner ein Ausreisevisum beantragen, nun jedoch stehen ihnen die Tore zur Welt offen. Theoretisch jedenfalls, denn die Erleichterung ist bislang einseitig. Oft genug steht einem Besuch in einem anderen Land das von dessen Behörden geforderte Einreisevisum entgegen.

Die deutsche Botschaft in Havanna zeigt sich dabei wenig gastfreundlich. Ohne Termin geht gar nichts, und dieser kann ausschließlich über die Internetseite der diplomatischen Vertretung gebucht werden, während »per Telefon, E-Mail, Post oder Fax an die Botschaft gerichtete Terminanfragen (…) nicht beantwortet werden«. Dabei dürfte den deutschen Diplomaten wohlbekannt sein, daß Kubaner normalerweise nicht einfach zu Hause ins Netz gehen können, sondern dazu Internetzentren aufsuchen müssen. Die Kosten für eine Stunde im WWW lagen im Sommer bei 4,50 Konvertiblen Pesos (CUC), was etwa 3,33 Euro entspricht.

Wenn eine Familie auf Reisen gehen möchte, wird es besonders haarig: »Für jeden Antragsteller muß ein eigener Termin gebucht werden. Achtung: Dies gilt auch für Minderjährige, gemeinsam reisende Familien und sonstige Reisegruppen«, heißt es in schönstem Bürokratendeutsch auf der Homepage der Konsularabteilung. Und weiter: »Sie müssen Ihre Daten unbedingt korrekt und fehlerfrei eingeben, da der Einlaß in die Visastelle nur bei genauer Namens- und Paßübereinstimmung erfolgt. Vorsicht: Selbst bei geringsten Abweichungen wird Ihnen der Einlaß verweigert.« Schließlich: »Um Terminmißbrauch zu verhindern, kann pro Person nur jeweils ein Termin gebucht werden. Erst nach Ablauf eines Monats dürfen Sie erneut Termine buchen. Bei Nicht-Wahrnehmung von Terminen behält sich die Botschaft vor, Antragsteller für einen Zeitraum von sechs Monaten zu sperren.«

Wer sich von all dem nicht abschrecken läßt, wird erstmal zur Kasse gebeten. 60 Euro beträgt die Visagebühr, die bei Antragstellung in CUC auf den Tisch gelegt werden muß. Das entspricht – nach Angaben der deutschen Botschaft selbst – mehr als vier Monatsgehältern eines durchschnittlichen Kubaners. Das Geld ist weg, auch wenn die Visaerteilung abgelehnt wird. Und das ist nicht selten der Fall. »Etwa 80 Prozent aller Anträge werden beim ersten Mal zurückgewiesen«, heißt es unter der Hand in Havanna. Die Botschaft wollte das gegenüber junge Welt auf Anfrage weder bestätigen noch dementieren, Kontaktversuche blieben erfolglos. Auch das Auswärtige Amt in Berlin zeigte sich wenig auskunftsfreudig.

Doch die Erfahrungen von Mario López sprechen dafür, daß die Angaben stichhaltig sind. Gemeinsam mit seinem Kumpel Yoel Félix González schaffte er es am 8. November, den Antrag ordnungsgemäß einzureichen. Auch die geforderte Verpflichtungserklärung des Einladers, sämtliche in Deutschland anfallende Kosten der beiden Kubaner zu übernehmen, sowie die Bestätigung einer Auslandskrankenversicherung lagen bei. Nur vier Tage später hielt er jedoch den Ablehnungsbescheid in den Händen. Begründung: Man glaube ihm nicht, daß er tatsächlich einen Freund besuchen wolle. Und er habe nicht nachweisen können, daß er Deutschland vor Ablaufen des Visums wirklich wieder verlassen wolle.

Für Mario ein Schlag. In einem Brief an das Konsulat protestierte er gemeinsam mit Yoel gegen die Unterstellungen (siehe hier). Auch Marcel Kunzmann will die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen. Im Gespräch mit jW schloß er eine Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht Berlin nicht aus.

Erschienen am 21. November 2013 in der Tageszeitung junge Welt