Viel Religion, wenig Politik

Der am heutigen Mittwoch mit einer Messe auf der Plaza de la Revolución im Zentrum Havannas zu Ende gehende Besuch von Papst Benedikt XVI. in Kuba ist am Dienstag mit einem umfangreichen Programm fortgesetzt worden. Nach einem Besuch der Wallfahrtskirche für »Unsere Liebe Frau von der Barmherzigkeit« in El Cobre, dem berühmtesten Marienstandbild der Insel, wollte das Oberhaupt der katholischen Kirche nach Havanna weiterreisen, wo eine Unterredung mit dem kubanischen Präsidenten Raúl Castro auf dem Programm stand. Dieser hatte am Vorabend bereits zusammen mit rund 200000 Menschen an der Messe teilgenommen, die der Papst in Santiago de Cuba zelebrierte. Unklar blieb, ob Benedikt XVI. auch mit dem früheren Staatschef Fidel Castro zusammenkommen würde, während eine Audienz für den sich ebenfalls in Havanna aufhaltenden venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez dementiert wurde. Dieser habe ein solches Treffen auch gar nicht beantragt, sagte ein Kirchensprecher, aber er sei natürlich bei der Messe willkommen.

Entgegen der Hoffnungen westlicher Korrespondenten verzichtete der frühere Kardinal Joseph Ratzinger bei seinen Ansprachen bislang weitgehend auf politische Parolen und beschränkte sich auf religiöse Predigten. Bei seiner Ankunft am Montag hatte er allerdings an den Besuch seines Vorgängers Johannes Paul II. erinnert, der 1998 auf der Insel zu Gast war. Dessen Visite sei eine »angenehme Brise frischer Luft« gewesen, »die der Kirche in Kuba neue Kraft gegeben hat«, so Benedikt. Anschließend erklärte er: »Viele Teile der Welt durchleben heute eine Zeit besonderer wirtschaftlicher Schwierigkeiten. Nicht wenige stimmen darin überein, daß dem eine tiefe geistige und moralische Krise zugrunde liegt, die den Menschen ohne Werte zurückgelassen hat und ihn dem Ehrgeiz und Egoismus gewisser Mächte preisgibt, die das wahre Wohl der Menschen und der Familien nicht beachten.«

Kurz zuvor hatte Kubas Präsident Raúl Castro in seiner kurzen Ansprache daran erinnert, daß die USA auch 14 Jahre nach der Visite von Johannes Paul, bei der dieser eine Aufhebung der Blockade gefordert hatte, an ihrem Wirtschaftskrieg gegen die Insel festhalten. Castro zitierte aus einem inzwischen freigegebenen US-Regierungsmemorandum von 1960, das als Ziele der gegen Kuba gerichteten Politik »die Verursachung von Hunger, Hoffnungslosigkeit und den Sturz der Regierung« ausgegeben hatte. »Trotzdem verändert die Nation weiter unbeirrt alles, was verändert werden muß, entsprechend der höchsten Erwartungen des kubanischen Volkes und unter dessen freier Beteiligung an den wichtigen Entscheidungen unserer Gesellschaft, darunter den wirtschaftlichen und sozialen, die fast überall auf der Welt den politischen und Finanzeliten vorbehalten sind«, unterstrich der kubanische Präsident.

Wenige Stunden später predigte der müde wirkende Papst bei der Messe in Santiago de Cuba, der »Gehorsam im Glauben« sei »die wirkliche Freiheit«. Die Gläubigen sollten »in Christus und für Christus mit den Waffen des Friedens, der Vergebung und des Verständnisses für den Aufbau einer offenen und erneuerten Gesellschaft kämpfen«, forderte das Oberhaupt des letzten absolutistisch regierten Staates Europas. Die Veranstaltung wurde im kubanischen Fernsehen direkt übertragen, die Tageszeitung Granma widmete einen Großteil der Seiten ihrer Dienstagausgabe dem Besuch und druckte neben den Worten Castros auch die vollständige Begrüßungsansprache des Papstes ab.

Während aus den USA mehrere hundert aus Kuba stammende Emigranten zu den Veranstaltungen des Papstes nach Kuba gereist sind, setzen die rechtsextremen Gruppierungen in Miami ihre Propaganda gegen den Besuch fort. In einer über antikubanische Rundfunkstationen verbreiteten Erklärung protestierte etwa die Gruppe »Unabhängiges und demokratisches Kuba« (CID) gegen die auf Bitten des Erzbistums Mitte März erfolgte Räumung einer von Regierungsgegnern besetzten Kirche in Havanna durch die Polizei. Damit habe die katholische Hierarchie »dieselbe repressive Kraft legitimiert, die jahrelang kubanische Demokraten verfolgt, verhaftet und ermordet« habe, behauptete die Gruppe. Ähnlich paranoid präsentierte sich derzeit die von westlichen Medien als Oppositionelle gefeierte Yoani Sánchez, die über den Internetdienst Twitter beklagt, daß sie momentan keine SMS empfangen könne.

Erschienen am 28. März 2012 in der Tageszeitung junge Welt