Venezuela wagt den »Vexit«

Venezuela verlässt die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Man werde am Donnerstag offiziell das Verfahren zum Austritt einleiten, kündigte Außenministerin Delcy Rodríguez am Mittwoch abend (Ortszeit) in Caracas an. Zuvor hatte der Ständige Rat der OAS in Washington mit einer Mehrheit von 19 gegen 10 Stimmen der Mitgliedsstaaten beschlossen, ein Treffen der Außenminister des Kontinents einzuberufen, um dort die »Lage in Venezuela« zu diskutieren. Caracas hatte zuvor gewarnt, dass eine solche Entscheidung ohne Zustimmung Venezuelas zum Austritt der Bolivarischen Republik aus der Organisation führen werde. Bei der Abstimmung hatten sich jedoch nur neun Staaten auf seine Seite gestellt, darunter Nicaragua, Ecuador, Bolivien, Haiti und Surinam. 19 Regierungen votierten für den Antrag, einen Sondergipfel einzuberufen, unter ihnen die USA, Argentinien, Brasilien, Kolumbien und Chile.

Der »Vexit« wird 24 Monate dauern, informierte Rodríguez. In diesem Zeitraum werde Venezuela an keiner Veranstaltung mehr teilnehmen, die von den »Söldnerstaaten« durchgeführt werde, um den Frieden in Venezuela zu stören, kündigte die Ministerin an. Die venezolanische Regierung wirft insbesondere OAS-Generalsekretär Luis Almagro vor, die Statuten der Organisation zu verletzen. Diese verbieten jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates und sehen zudem vor, dass der Ständige Rat der OAS nur »mit Zustimmung der betroffenen Regierung« strittige Themen diskutieren darf.

Unterstützung für die Haltung Venezuelas kam umgehend aus Bolivien. »Luis Almagro zerstört die OAS aus Unterwürfigkeit gegenüber dem nordamerikanischen Imperium und seiner Interventionspolitik«, twitterte der Präsident des Andenstaates, Evo Morales. In einem Interview mit dem Fernsehsender Telesur hatte er zuvor schon Almagro vorgeworfen, einen Putsch gegen Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro zu unterstützen.

Carolus Wimmer, internationaler Sekretär der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV), bewertete die Entscheidung als »historisch«. Im Gespräch mit dem staatlichen Fernsehsender Venezolana de Televisión bezeichnete er den Austritt aus der OAS als überfällig. Bereits nach der Gründung der Lateinamerikanischen und Karibischen Staatengemeinschaft (Celac) 2011 hätte Venezuela die OAS verlassen sollen, so Wimmer: »Man kann keine zwei Ehen gleichzeitig führen, und wir sind mit Lateinamerika verheiratet, nicht mit Washington.« Die Außenminister der Celac kommen am 2. Mai auf Antrag von Caracas in San Salvador zu einem außerordentlichen Treffen zusammen. Man werde dort über Angriffe gegen Venezuela informieren, kündigte Rodríguez an.

Unterdessen sind zwei weitere Menschen im Zusammenhang mit den Protesten der Opposition getötet worden. Wie die Generalstaatsanwaltschaft mitteilte, starb am Mittwoch in Caracas ein 20jähriger Mann, als er von einer Tränengasgranate getroffen wurde. Mit diesen waren die Sicherheitskräfte im Mittelschichtsviertel Chacao gegen militante Regierungsgegner vorgegangen. Im Bundesstaat Táchira wurde ein Aktivist der Regierungspartei PSUV ermordet. Wie der Gouverneur des im Westen Venezuelas gelegenen Staates, José Gregorio Vielma Mora, am Mittwoch mitteilte, hatten Regierungsgegner am Montag abend an einer Barrikade versucht, dem 34jährigen das Motorrad zu stehlen. Er wurde mit einem Bauchschuss in ein Krankenhaus eingeliefert, wo er am nächsten Tag starb. Mit diesem Opfer ist die Zahl der seit Anfang April getöteten Menschen auf 29 gestiegen.

Erschienen am 28. April 2017 in der Tageszeitung junge Welt  und in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek