Uribe provoziert

Venezuelas Präsident Hugo Chávez hat kurzfristig seine Teilnahme an einem derzeit in Kuba stattfindenden bilateralen Gipfeltreffen beider Länder abgesagt. Damit konnte er auch nicht, wie ursprünglich geplant, an der gestrigen Festveranstaltung in Santa Clara zum Jahrestag des Sturms auf die Moncada-Kaserne am 26. Juli 1953 teilnehmen. Bei einer Wahlkampfveranstaltung der von ihm geführten Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) verwies Chávez am Sonntag abend (Ortszeit) in Caracas als Begründung auf die gegenwärtige Kolumbien-Krise: »Nach der Auswertung einer Reihe von Geheimdiensteinschätzungen, die wir auf verschiedenen Wegen erhalten haben, muß ich sagen, daß eine bewaffnete Aggression gegen Venezuela von kolumbianischem Territorium aus derzeit wahrscheinlicher ist als je zuvor.« Chávez drohte, im Falle eines vom »Yankee-Imperium« betriebenen Angriffs auf Venezuela die Erdöllieferungen an die USA einzustellen, »selbst wenn wir Steine essen müßten«.

Mit Blick auf eine für Donnerstag geplante Außenministerkonferenz der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) in Quito, bei der über die Spannungen zwischen Kolumbien und Venezuela beraten werden soll, kündigte Venezuelas Außenminister Nicolás Maduro an, sein Land werde bei der UNASUR-Tagung konkrete Vorschläge für eine Überwindung der Krise unterbreiten. Er hoffe, daß die künftige Regierung Kolumbiens den Kurs des Landes berichtigen werde, aber »es kann keine Beziehungen zwischen Nachbarn geben, wenn der andere dich angreift, bedroht und sein Territorium zur Verfügung stellt, damit ein Schurke wie die USA dort seine Militärbasen errichtet«.

Mit einer Abschiedsbotschaft an das kolumbianische Militär hat der scheidende Staatschef Álvaro Uribe unterdessen für weitere Empörung gesorgt. Für seinen Auftritt wählte er ausgerechnet die Ortschaft La Macarena, in der eine internationale Untersuchungskommission derzeit die Identität von rund 2000 in einem Massengrab verscharrten Opfern der kolumbianischen Armee und paramilitärischer Gruppen untersucht. Dort versicherte er: »Der Endsieg ist nicht weit, aber er muß erkämpft werden!« Nach acht Jahren Amtszeit verabschiede er sich »voller Dank an die öffentlichen Gewalten für ihren wertvollen Beitrag, damit die künftigen Generationen in einem wohlhabenden, rechtschaffenen und ausgeglichenen Land leben können«. Mit Blick auf die in La Macarena verübten Verbrechen sagte Uribe, »der Terrorismus« sei »durch einige seiner Sprecher« an diesen Ort gekommen, »um zu sehen, wie sie die öffentlichen Gewalten in Mißkredit und mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung bringen können«. Zu der Untersuchungskommission, die das Massengrab untersucht, gehören sechs Mitglieder des Europaparlaments, die kolumbianischen Parlamentarier Piedad Córdoba und Iván Cepeda sowie Experten aus den USA.

Unterdessen wachsen die Zweifel an den von Kolumbien vorgelegten angeblichen Beweisen für eine Präsenz der FARC und der ELN in Venezuela. So informierte die alternative kolumbianische Bolivarische Presseagentur (ABP) darüber, daß zumindest einige der von Bogotá präsentierten Fotos bereits 2007 auf ihrer Homepage veröffentlicht worden seien. Der darauf gemeinsam mit führenden Vertretern der FARC-Guerilla zu sehende Narciso Isa Conde von der Kontinentalen Bolivarischen Bewegung (MCB), einem Bündnis lateinamerikanischer antiimperialistischer Organisationen, erklärte, die Bilder seien 2006 entstanden, als er mehrere Einheiten der FARC in Kolumbien besucht habe, um sich mit deren Comandantes zu unterhalten. »Ich bin niemals auf venezolanischem Territorium mit den FARC-EP zusammengetroffen, denn ihre Lager befinden sich in Kolumbien«, unterstrich Conde.

Erschienen am 27. Juli 2010 in der Tageszeitung junge Welt