Unter ferner liefen

In Venezuela lichten sich wenige Wochen vor der Präsidentschaftswahl die Reihen der kandidierenden Parteien und Bewerber. In der vergangenen Woche haben bereits vier kleine Parteien ihre Unterstützung für den Oppositionskandidaten Henrique Capriles Radonski zurückgezogen, weil sie sich von dessen Wahlkampfstab ausgegrenzt fühlten. Am Montag (Ortszeit) kündigte nun auch Yoel Acosta Chirinos seinen Verzicht auf eine Kandidatur an. »Mein Gegner ist die Rechte, und mein historischer Verbündeter ist Chávez«, sagte er gegenüber Medienvertretern.

Überraschend ist dieser Kandidaturverzicht nicht, denn der Vertreter der »Republikanischen Zweihundertjährigen Avantgarde« (Vanguardia Bicentenaria Republicana, VBR) ist eigentlich kein Gegner des amtierenden Präsidenten. Der 1951 geborene frühere Leutnant beteiligte sich sogar am 4. Februar 1992 an dem von Hugo Chávez geführten Versuch, den sozialdemokratischen Staatschef Carlos Andrés Pérez mit Waffengewalt zu stürzen, und saß nach dem Scheitern der Rebellion gemeinsam mit Chávez im Gefängnis. Inzwischen ist er jedoch auf Distanz zum sozialistischen Kurs des Präsidenten gegangen und will die Bolivarische Revolution »wieder auf ihren ursprünglichen Pfad zurückbringen«, wie es in seinem Wahlprogramm heißt.

Nach seinem Rückzug bleiben neben Amtsinhaber Hugo Chávez und dem von den meisten Oppositionsparteien unterstützten Henrique Capriles Radonski noch vier Kandidaten im Rennen.

Einer von ihnen ist Orlando Chirino, der für die trotzkistisch orientierte Partei »Sozialismus und Freiheit« (PSL) antritt. Er gehörte um 2003 zu den Mitbegründern des linken Gewerkschaftsbundes UNT (Nationale Arbeiterunion), der in den folgenden Jahren jedoch durch interne Streitigkeiten – an denen Chirino eifrig beteiligt war – zerrieben wurde. Dem Präsidenten wirft Chirino vor, einen »Rechtsruck« vollzogen zu haben. Der Kurs der Regierungspolitik sei weder sozialistisch noch antiimperialistisch, sondern liefere Venezuela den transnationalen Konzernen aus, steht im Wahlprogramm der PSL.

Ebenfalls aus der Gewerkschaftsbewegung stammt Reina María Sequera von der kleinen Partei »Arbeitermacht« (Poder Laboral). Die 1963 geborene Pädagogin tritt regelmäßig bei Wahlen an, und fällt ebenso regelmäßig durch. So wurde sie 2010 von einer Reihe linker, aber in Opposition zum Regierungslager stehender Parteien in einem Wahlbezirk der Hauptstadt Caracas für die Nationalversammlung nominiert, erreichte jedoch nur 0,6 Prozent der Stimmen. Inhaltlich bleiben ihre Aussagen dünn – eine Homepage hat ihre Partei nicht anzubieten.

»Weder nach links noch nach rechts schauen«, sondern mit Jesus Christus »gegen Kapitalismus und Sozialismus« kämpfen, das will Luis Reyes Castillo. Der 1959 im Bundesstaat Falcón geborene Verwaltungsrechtler, der mehrere Jahre in den USA studiert und an der Universität von Oregon Spanisch gelehrt hatte, ist der Kandidat der evangelikalen »Authentischen Erneuernden Organisation«, deren Abkürzung ORA übersetzt »Bete« bedeutet. Ziel der 2008 vom jetzigen Kandidaten und einigen Verwandten gegründeten Partei ist die Gründung der »Christlichen Republik Venezuela«.

Trotz eines in Venezuela populären Nachnamens ist auch María Josefina Bolívar am 7. Oktober chancenlos. Die 1975 geborene Rechtsanwältin schrieb sich für die eigens dazu gegründete »Vereinte Demokratische Partei für den Frieden und die Freiheit« (PDUPL) als Kandidatin ein. Sie kritisiert die Vernachlässigung der örtlichen Gemeinden und spricht sich für eine »demokratische, partizipative und dezentralisierte« Regierung aus.

Eine reale Chance, in das höchste Staatsamt Venezuelas gewählt zu werden, hat keiner dieser Kandidaten. Prognostiziert wird für sie alle zusammen ein Ergebnis von unter einem Prozent.

Erschienen am 19. September 2012 in der Tageszeitung junge Welt