UNO warnt vor Unruhen

Was kümmern schon die eigenen Gesetze, wenn Brüssel böse guckt? In Lissabon hat Regierungssprecher Luis Marques Guedes am Sonnabend die portugiesischen Verfassungsrichter attackiert, weil diese zuvor Teile des vom Kabinett beschlossenen Kürzungspakets kassiert hatten. »Die Regierung respektiert die Gerichtsentscheidung, aber warnt die Portugiesen vor den negativen Auswirkungen auf das Land«, erklärte er und beklagte, das Urteil gefährde die »hart erarbeitete Glaubwürdigkeit« Portugals.

 

Das Verfassungsgericht hatte nach dreimonatigen Beratungen unter anderem die Abschaffung der 14. Monatszahlung für Beamte und Rentner sowie die Einführung von Abgaben auf Arbeitslosenhilfe und Krankengeld gekippt. Nach Schätzungen gehen der Regierung dadurch bis zu 1,25 Milliarden Euro verloren, mit denen sie Forderungen der Troika aus EU, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) erfüllen wollte. Dagegen hatten die linken Opposi­tionsparteien, aber auch Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva geklagt. Dieser erklärte, der Haushalt wecke »berechtigte Zweifel an der Gerechtigkeit bei der Verteilung der Opfer«. Seine eigene Partei, die konservative PSD, bringt er damit in Schwierigkeiten. »Wir haben praktisch keinen Handlungsspielraum«, zitierte dpa die PSD-Politikerin Teresa Leal Coelho.

Trotzdem klammert sich Regierungs­chef Pedro Passos Coelho an seinen Sessel. »Die Voraussetzungen dafür, daß die Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt bleibt, sind gegeben«, sagte er in der Nacht zum Sonntag nach einer Krisensitzung seines Kabinetts. Für den Abend (nach jW-Redaktionsschluß) war eine Regierungserklärung angekündigt.

Die Opposition aus Sozialisten, Kommunisten und Linksblock fordert hingegen seinen sofortigen Rücktritt. Am Sonnabend machte sich im nordportugiesischen Viana do Castelo ein Protestmarsch gegen die zunehmende Verarmung der Bevölkerung auf den Weg, der bis zum 13. April das ganze Land durchziehen und am kommenden Sonnabend in einer Großkundgebung im Zentrum der Hauptstadt gipfeln soll. Portugals größter Gewerkschaftsbund CGTP-IN hatte die Aktion bereits Anfang vergangener Woche angekündigt. Auch der Generalsekretär der kommunistisch orientierten Arbeiterorganisation, Arménio Carlos, hatte dabei die Demission des Ministerpräsidenten gefordert, da sich das Land »mit großen Schritten auf den Abgrund« zubewege.

In den internationalen Organisationen wächst unterdessen die Sorge vor einer sozialen Explosion. Das gehe aus einem Bericht der UN-Arbeitsorganisation ILO hervor, der am Montag vorgestellt werden soll, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf das Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Bereits Anfang März hatte ILO-Generaldirektor Guy Ryder in einem Bericht erklärt: »Es wächst die Besorgnis, daß die Geschwindigkeit und der Umfang von Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung sowohl in den von der Krise betroffenen Ländern als auch in anderen europäischen Ländern für die angestrebten Politikziele nicht angemessen waren. (…) Dies hat sowohl legitime Demonstrationen als auch weniger friedliche Ausbrüche von Unruhen zur Folge gehabt.« In dem Papier forderte Ryder ein politisches Umsteuern: »Im Teufelskreis sich erschöpfender Ressourcen, steigender Schulden, Kürzungen der öffentlichen Ausgaben und um sich greifender sozialer Unruhen kann die soziale Sicherheit eine wichtige Rolle als ein automatischer Stabilisator spielen.«

Erschienen am 8. April 2013 in der Tageszeitung junge Welt