Undichte Stellen könnten Dialog gefährden

Kuba und Norwegen sind »Garanten« der Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC-Guerilla, Venezuela und Chile sollen sie »begleiten«. Das geht aus einem Dokument hervor, das der Rundfunksender RCN am Mittwoch (Ortszeit) in Bogotá veröffentlichte und bei dem es sich um die Vereinbarung handeln soll, die beide Seiten am Montag in Havanna unterzeichnet haben.

Präsident Juan Manuel Santos hatte bislang offiziell keine Details der Abmachungen bekanntgegeben und lediglich bestätigt, daß seine Regierung »Sondierungsgespräche« mit den Aufständischen geführt habe. »Die Regierung, der ich vorstehe, möchte eine fortschrittliche Regierung sein, die als Kompaß, als Ziel immer verfolgt, sich um mehr soziale Gerechtigkeit zu bemühen und die Armut zu bekämpfen«, erklärte er am Mittwoch bei einer Ansprache in Barranquilla. Sein Kabinett wolle »die Suche nach dem Frieden über das Befeuern des Krieges« stellen.

Unklar ist, wer das Dokument dem Rundfunksender zugespielt hat. Die kolumbianische Stiftung »Arco Iris« (Regenbogen), die sich in der Vergangenheit durch wichtige Analysen der Bürgerkriegssituation in dem südamerikanischen Land ausgezeichnet hat, warnt bereits, daß die »Strategie der undichten Stellen« dazu dienen könne, den Dialog bereits an seinem Anfang zu stören.

Die Stiftung äußert die Vermutung, daß die Regierung das Papier dem Rundfunksender zugespielt haben könnte, um die Stimmung in der Bevölkerung zu testen, obwohl Umfragen zufolge rund 74 Prozent der Kolumbianer einen Friedensprozeß unterstützen und sich auch internationale Organisationen positiv geäußert haben. Umgekehrt wäre Santos sicherlich verärgert, falls sich die FARC als die undichte Stelle erweisen sollten, »und ganz bestimmt wird das dann ein Thema diskreter Erörterungen mit den Sprechern der Guerilla sein«, so die Stiftung. Wenn aber Dritte dahinter stecken, sei das der Beleg dafür, daß es Saboteure des Prozesses gebe – »die Frage ist: wer?«

Wenn sich das von RCN veröffentlichte Papier als authentisch herausstellt – und alles deutet darauf hin –, haben sich die beiden Verhandlungsparteien viel vorgenommen. So steht an erster Stelle auf der Agenda die ungerechte Landverteilung, die schon in den 60er Jahren eine der Hauptursachen für das Entstehen der FARC war. Ziel sei eine gleichmäßige soziale und ökonomische Entwicklung des Landes, eine Klärung der Eigentumsfragen und eine klare Festlegung der Grenzen zwischen landwirtschaftlich genutzten und Schutzgebieten. Den Bauern, die aus Not auf den Anbau von Rauschpflanzen ausgewichen sind, sollen Alternativen eröffnet werden, angestrebt wird eine »solidarische und kooperative Wirtschaft«.

Weiter stehen auf dem Diskussionsprogramm laut RCN Maßnahmen, um »die Rechte und Garantien für die politische Opposition allgemein und speziell für die neuen Bewegungen, die nach der Unterzeichnung des Schlußabkommens entstehen können«, zu sichern. Damit reagieren die Verhandlungspartner auf die Erfahrungen Ende der 80er Jahre, als die FARC den bewaffneten Kampf einstellten und ihre Kader in die legale »Patriotische Union« (UP) schickten. Gegen diese wurde jedoch durch Paramilitärs und Sicherheitskräfte ein Vernichtungskrieg geführt, dem Tausende Aktivisten der Partei zum Opfer fielen.

Erst nach dem Abarbeiten des Diskussionsprogramms soll offenbar eine »bilaterale und endgültige Feuer- und Kampfeinstellung« erfolgen. Danach sollen die FARC die Waffen niederlegen – von einer Abgabe ist nicht die Rede – und entsprechend ihrer Interessen auf allen Ebenen in das zivile Leben eingegliedert werden.

Erschienen am 1. September 2012 in der Tageszeitung junge Welt