Über den »Brexit« reden

Die Gelegenheit war günstig: Gut eine Woche nach der Entscheidung der Briten, die EU zu verlassen, kamen in Dortmund Tausende Kommunisten und andere Linke zusammen. Der »Brexit« prägte daher zahlreiche Diskussionen. Vor allem zwei Runden, die lange vorher geplant worden waren, standen nun ganz im Zeichen der aktuellen Lage. Im »Roten Zelt«, das von unabhängigen antifaschistischen und antikapitalistischen Gruppen aus dem gesamten Bundesgebiet betrieben wurde, stand am Samstag mittag eine Debatte auf dem Programm, ob ein »soziales Europa« oder die Auflösung der EU und die Abschaffung der Gemeinschaftswährung Euro das Ziel linker Politik sein müsse. »EU zerschlagen oder demokratisieren« war einige Zeit später das Thema im »Dorf des Widerstandes«, das von den DKP-Bezirken Südbayern, Saarland und Rheinland-Pfalz betrieben wurde. Diese Regionalorganisationen werden mehrheitlich von Kritikern der derzeitigen Mehrheitslinie in der DKP dominiert.

Die Referenten beider Veranstaltungen waren sich in einer Grundeinschätzung einig: Die EU, wie sie heute ist, kann für Linke nicht zu verteidigen sein. Conrad Schuhler vom Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (ISW) in München, der bei der zweiten Veranstaltung referierte, erinnerte daran, dass schon in der Vergangenheit die in einigen Ländern durchgeführten Volksabstimmungen über die EU – etwa über den Vertrag von Maastricht 1992, den Vertrag von Nizza 2001 oder den Lissabon-Vertrag 2009 – gegen die Union ausfielen. Daraufhin sei jeweils der gleiche Vertrag mit einigen kosmetischen Änderungen noch einmal vorgelegt worden, bis er in einem weiteren Referendum angenommen wurde, oder er wurde so uminterpretiert, dass die Bevölkerung nicht mehr gefragt werden musste. »Demokratie in der EU reicht also immer nur so weit, wie es die herrschenden Eliten zulassen«, so Schuhler. Auch in Britannien habe die Arbeiterklasse gegen ein »technokratisches Projekt der Eliten« gestimmt, von dem sie sich drangsaliert fühlten. Das Ergebnis des Referendums sei jedoch kein »linker Brexit« oder »Lexit«, wie ihn die britische KP gefordert habe, sondern eine Stärkung rechtspopulistischer Strömungen und eine Zunahme rassistischer Positionen. Dagegen brauche es die transnationale Zusammenarbeit der Linken.

Die Einschätzung, der »Brexit« sei »rechts«, wurde bei der Veranstaltung im »Roten Zelt« durchaus hinterfragt. Wilhelm Langthaler von der Euro-Exit-Gruppe aus Wien etwa betonte, dass noch gar nicht ausgemacht sei, was die Konsequenzen des »Brexit« sein werden. Er sei ein schwerer Schlag für die »Eliten« auf der Insel, und stelle somit eine große Chance für die Linke dar. Ob diese sie nutzen könne und werde, sei jedoch noch nicht entschieden. Der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele, der in dieser Runde mitdiskutierte, betonte, dass die EU ein imperialistischer Staatenbund sei, der nicht reformiert werden könne. Deshalb habe die Deutsche Kommunistische Partei die Positionen ihrer britischen Genossen geteilt und die Entscheidung beim Referendum begrüßt.

Zu einem Disput kam es im »Roten Zelt« vor allem, als Langthaler für eine Regulierung der Zuwanderung warb, weil die neu ankommenden Arbeiter als Lohndrücker eingesetzt würden. Linke müssten sich dafür einsetzen, dass diese Menschen in ihren Heimatländern Arbeit finden, so der Österreicher. Dem widersprach der Vertreter der Interventionistischen Linken aus Düsseldorf, der nicht namentlich vorgestellt wurde. Er fragte Langthaler, wie er diese Position umsetzen wollte: »Werdet ihr die Grenzen schließen und die Menschen jagen?« Natürlich müsse die Linke für eine Verbesserung der Lebensbedingungen in den Herkunftsländern eintreten – aber solange diese nicht erreicht sei, müsse die Linke die Interessen der Flüchtenden verteidigen. Köbele unterstrich, dass der Lohndruck durch die neu ankommenden Menschen spürbar sei. Gerade deshalb aber sei es wichtig, rassistischen Parolen entgegenzutreten, wie er sie von einigen Ortsverbänden der SPD in seiner Heimatstadt Essen erlebt habe. Die Ängste und die Wut der Betroffenen müssten gegen die Verantwortlichen – die imperialistische EU, die NATO und deren Kriegspolitik – gerichtet werden, nicht gegen die Flüchtlinge.

Erschienen am 4. Juli 2016 in der Tageszeitung junge Welt