TTIP-Demo schreckt auf

Die Befürworter des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP sehen ihre Felle davonschwimmen. Während sich Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) wegduckt, profiliert sich die untote FDP als letzte Hoffnung des »Freihandels«. Am Vortag der Großdemonstration gegen TTIP in Berlin schrieb FDP-Chef Christian Lindner in der Freitagausgabe der Saarbrücker Zeitung: »Die TTIP-Gegner sorgen sich um Demokratie, Rechtsstaat, Umwelt- und Verbraucherschutz. Alles unbegründet.« Der Chefkolumnist des Berliner Boulevardblatts B.Z., Gunnar Schupelius, bezeichnet den Protestaufruf als »fundamentalistisch, auch nationalistisch und etwas hysterisch«. Ins gleiche Horn bläst das unternehmernahe »Institut der deutschen Wirtschaft«. Die »Skeptiker« würden »ungerechtfertigte Panikmache« verbreiten. Das Institut zieht einen Vergleich zur Einführung des EU-Binnenmarkts in den 90er Jahren: »Mittlerweile haben sich die gesamtwirtschaftlichen Effekte als eindeutig positiv erwiesen.«

»Eindeutig positiv«? Für das deutsche Großkapital offensichtlich. Für mehr als 48 Prozent der Jugendlichen in Spanien und Griechenland ganz bestimmt nicht. Sie sind erwerbslos – auch eine Folge des Binnenmarktes. Denn durch ihn konnten die deutschen Konzerne die anderen EU-Länder mit Waren überschwemmen, die Staaten in die Verschuldungsfalle treiben und schließlich über Berlin und Brüssel zu milliardenschweren »Rettungsprogrammen« zwingen – Von denen profitierten wieder deutsche Banken und Konzerne.

Am Donnerstag warf die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch der CDU vor, systematisch unrichtige Informationen über TTIP zu verbreiten. So würden ihre Vertreter regelmäßig insbesondere die wirtschaftlichen Potentiale des Abkommens zu positiv darstellen: »Parteibroschüren enthalten falsche Angaben, Abgeordnete überzeichnen die Chancen von TTIP gegenüber den Bürgern und im Bundestag.« Außerdem habe mit Michael Grosse-Brömer ein hochrangiger CDU-Politiker aus einer Studie zitiert, »die es gar nicht gibt«.

Die Aufregung der TTIP-Lobbyisten ist verständlich. Am Mittwoch übergaben Gegner des Abkommens der EU-Kommission in Brüssel 3,3 Millionen Unterschriften für den Aufruf »Stop TTIP«. Damit hat dieser zwar mehr Unterzeichner als jede andere »Europäische Bürgerinitiative« bisher, doch die Behörde will sie nicht offiziell als solche anerkennen. Täte sie es, müsste sie das Thema beraten – mehr nicht. Weiter gehen die politischen Beteiligungsrechte der Bürger in der EU nicht.

Die Hoffnungen der TTIP-Gegner richten sich deshalb auf den Ratifizierungsprozess. In fast allen EU-Staaten müssten die Parlamente dem Vertrag zustimmen, und in der Hälfte sind Referenden möglich. Deshalb gaben am Freitag mehrere niederländische Organisationen den Startschuss zur Unterschriftensammlung für ein Plebiszit gegen TTIP und CETA, das Freihandelsabkommen mit Kanada. Ein solches »Veto-Referendum« gegen bereits beschlossene Gesetze oder internationale Verträge ist möglich, wenn zuvor mindestens 300.000 Menschen innerhalb von sechs Wochen eine entsprechende Initiative unterstützt haben. Zu einer Abstimmung käme es, sobald die Regierung in Den Haag einem der Verträge zustimmt. Das Ergebnis eines Referendums wäre zwar rechtlich nicht bindend. Es würde der niederländischen Politik jedoch schwerfallen, TTIP und CETA gegen ein Votum des Volkes durchzusetzen.

Erschienen in der Tageszeitung 10. Oktober 2015 in der Tageszeitung junge Welt