Treffen zweier Kontinente

Staatschefs und hochrangige Regierungsvertreter aus nicht weniger als 61 Ländern sind am vergangenen Wochenende auf der venezolanischen Urlaubsinsel Margarita zum zweiten Süd-Süd-Gipfeltreffen zusammengekommen. Zwölf südamerikanische und 49 afrikanische Staaten berieten dabei über eine weitere Stärkung der Zusammenarbeit beider Regionen, deren Wirtschaftsaustausch allein seit dem ersten Gipfel 2006 im nigeranischen ­Abuja um mehr als 50 Prozent gewachsen ist, wie Brasiliens Präsident Luiz Inacio »Lula« da Silva anmerkte. »Wenn sich die mehr als eine Milliarde Einwohner Afrikas und Südamerikas zusammentun, gibt es keine Herausforderung weltweit, der nicht begegnet werden kann. Die regionale Integration und die Süd-Süd-Kooperation sind die Waffen für den Aufbau einer gerechteren Welt«, fügte der brasilianische Staatschef hinzu, der nach der UN-Vollversammlung in New York und dem Gipfeltreffen der G20 in Pittsburgh seinen dritten Gipfel innerhalb einer Woche absolvierte.

Der Gastgeber des Süd-Süd-Gipfels, Venezuelas Präsident Hugo Chávez, rief die Regierungen beider Kontinente auf, gemeinsam für eine Niederlage des weltweiten Kapitalismus zu kämpfen, der die Menschheit zerstört und in Armut gestürzt habe. »Südamerika besitzt 337 Milliarden Barrel Rohöl, das sind 24 Prozent der weltweiten Ölreserven, sowie 420 Trillionen Kubikfuß Gas. Afrika hat 114 Milliarden Barrel Öl und 512 Trillionen Kubikfuß Gas. Das zeigt, daß unsere beiden Kontinente eine Großmacht sind und wir von niemandem etwas erwarten müssen, außer von uns selber.«

Libyens Staatschef Muammar Al-Ghaddafi, der auch die derzeitige Präsidentschaft der Afrikanischen Union innehat, schlug vor, ausgehend von den Süd-Süd-Gipfeltreffen die Gründung eines »Südatlantikpakts« zu betreiben, dessen Gründung im Rahmen des für 2011 in Libyen geplanten nächsten Treffens erfolgen könne. Während Nordamerika in allen Bereichen mit Europa verbunden sei, klaffe zwischen den Kontinenten im Südatlantik ein Loch, beklagte Ghaddafi. Die »NATO des Südens« solle jedoch im Gegensatz zu dem nordamerikanisch-europäischen Militärbündnis »keine kriegerische Aktion« sein und auch die Staaten Asiens umfassen. »Ich hoffe, daß es in Zukunft ein Gipfeltreffen geben wird, an dem Afrika, Asien und Südamerika teilnehmen. Ich werde dafür kämpfen, daß so ein Treffen der drei Kontinente realisiert wird«, betonte Ghaddafi. »Nur wenn diese drei Regionen sich stabilisieren, dient das dem internationalen Frieden, und nur dann gibt es eine Macht, die sich den globalen Krisen des Planeten im Bereich der Wirtschaft, der Umwelt und der Lebensmittelversorgung stellen kann.«

Die Regierungen Südamerikas nutzten das Gipfeltreffen auch, um nach mehr als zweijähriger Vorbereitungszeit die »Bank des Südens« offiziell zu konstituieren. Die Staatschefs von Venezuela, Argentinien, Brasilien, Bolivien, Ecuador, Uruguay und Paraguay unterzeichneten die Gründungsurkunde des als Alternative zur Weltbank und zum Internationalen Währungsfonds gedachten Finanzinstituts, das zunächst mit einem Kapital von 20 Milliarden US-Dollar ausgestattet werden soll. Die chilenische Präsidentin Michelle Bachelet nahm an der Zeremonie als Beobachterin teil und erklärte, ihr Land könne der Initiative »bald« beitreten. Die Bank soll ihren Hauptsitz in Caracas haben und zwei untergeordnete Zentralen in Argenti­nien und Bolivien betreiben. Angesichts der Verzögerungen, die während der Vorbereitungen für die Gründung der Bank immer wieder aufgetreten waren, zeigte sich die argentinische Präsidentin Cristina Fernández erleichtert, daß diese nun überwunden zu sein scheinen: »Es hat gedauert, doch wir sind angekommen. Aber eigentlich ist die Verzögerung gar nicht so groß, wenn wir von einer Institution dieser Art sprechen.«

Hugo Chávez schlug vor, daß die Staaten Südamerikas und Afrikas auch eine gemeinsame Süd-Süd-Bank schaffen sollten. Es könne doch nicht sein, daß die Länder des Südens ihre Finanzmittel und Währungsreserven in die Metropolen des Nordens transferieren, die dann wiederum Darlehen an Afrika und Lateinamerika vergeben. »Sie geben uns Kredite von unserem eigenen Geld. Das ist doch bescheuert«, urteilte der venezolanische Präsident.

Erschienen am 30. September 2009 in der Tageszeitung junge Welt