Táchira: Suche nach den Tätern

Ein brutales Verbrechen im Grenzgebiet zwischen Kolumbien und Venezuela belastet erneut die Beziehungen zwischen den beiden südamerikanischen Staaten. Am vergangenen Sonnabend wurden in dem venezolanischen Grenzstaat Táchira die Leichen von zehn aus Kolumbien stammenden Männern entdeckt. Sie gehörten zu einer zwölfköpfigen Gruppe, die zwei Wochen zuvor in der venezolanischen Ortschaft Chururú entführt worden waren. Örtliche Medien hatten die Opfer der Entführung zunächst als Sportmannschaft beschrieben, da sie gerade Fußball gespielt hatten, als eine Gruppe Bewaffneter sie am 11. Oktober zwang, drei Lastwagen zu besteigen.

Während der Verbleib eines Mannes aus der Gruppe noch unklar ist, berichtete der offenbar einzige Überlebende der Entführten, der 18 Jahre alte Manuel Júnior Cortés, gegenüber den Behörden des venezolanischen Bundesstaates, daß die Entführer offensichtlich zu einer der in Kolumbien aktiven bewaffneten Gruppen gehört hätten. Er konnte jedoch nicht sagen, ob es sich dabei um Drogenschmuggler, Paramilitärs oder Einheiten einer der verschiedenen Guerillaorganisationen des Nachbarlandes gehandelt habe. Nach ihrer Entführung seien die jungen Männer in einem Lager in den Bergen festgehalten worden. Um sie an der Flucht zu hindern, seien immer zwei von ihnen mit Ketten am Hals aneinander gefesselt worden, rund 18 Bewaffnete hätten sie ständig bewacht. Sie seien die ganze Zeit über schutzlos dem Wetter ausgesetzt gewesen und hätten sich nur von Reis, Thunfisch und Wasser ernähren können.

Am vergangenen Freitag hätten die Entführer dann das Lager abgebrochen und die Gruppe mit zwei Lastwagen fortgeschafft. »Als sie anhielten, mußten wir aussteigen. Auf dem Boden kniend und von ihnen immer wieder geschlagen spürten wir die Stöße von sechs oder sieben Schüssen, von denen mich nur einer traf. Ein oder zwei Minuten später öffnete ich die Augen und spürte, daß ich am Leben war. Ich berührte die anderen Kameraden, aber sie waren tot«, berichtete Cortés. Er sei dann drei Stunden lang mit einer Wunde im Nacken umhergeirrt, bis ihm Bauern zu Hilfe kamen.

Schon unmittelbar nach der Entführung der Männer hatte die kolumbianische Presse dafür die Guerilla verantwortlich gemacht. Die der Regierung in Bogotá nahestehende Tageszeitung El Espectador entdeckte eine bislang völlig unbekannte »Bolivarische Befreiungsarmee«, über die sie aber bereits zu berichten wußte, daß sie »auf die Unterstützung der Regierung des Nachbarlandes (Venezuela) rechnen« könne. Der in Opposition zur Regierung in Caracas stehende Gouverneur von Táchira, César Pérez Vivas, machte hingegen die zweitstärkste kolumbianische Guerillaorganisation ELN für das Verbrechen verantwortlich und erklärte gegenüber der britischen BBC, das Massaker beweise, »daß diese Gruppen völlig straffrei an der Grenze operieren und die Sicherheit und Souveränität unseres Landes verletzen«.

Eine völlig andere Version der Ereignisse hat hingegen Venezuelas Vizepräsident und Verteidigungsminister Ramón Carrizalez. Bei einer Pressekonferenz in Caracas erinnerte er daran, daß zahlreiche Menschen aus Kolumbien nach Venezuela kommen: »Manche suchen bessere Lebensbedingungen, andere fliehen vor dem bewaffneten Konflikt in diesem Land, aber wir haben auch Beweise dafür, daß paramilitärische Gruppen in unser Land eingesickert sind, um die Stabilität Venezuelas zu untergraben«. Es gäbe Indizien dafür, daß es sich bei den entführten Männern um Angehörige einer solchen paramilitärischen Gruppe gehandelt habe. Einwohner der grenznahen Ortschaften hätten die Ermordeten als Personen wiedererkannt, die mehrfach an gewaltsamen Zwischenfällen beteiligt gewesen seien. »Die Art und Weise, wie sie hierher gekommen sind und ihre Identität als Gruppe bringen uns zu der Überlegung, daß sie Teil dieser von Kräften in unserem Land unterstützten Infiltrationspläne der kolumbianischen Regierung sind.« Unter Berufung auf Polizeiquellen berichtete auch die regierungsnahe Tageszeitung Vea, Ursache für das Massaker könnten Auseinandersetzungen zwischen zwei verfeindeten paramilitärischen Gruppen gewesen sein, für eine Verwicklung der kolumbianischen Guerilla gäbe es hingegen keine Belege.

Bereits im September hatte der Parlamentsabgeordnete der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV), Mario Isea, Táchiras Gouverneur Pérez Vivas einer Kollaboration mit den Paramilitärs beschuldigt und ihn direkt für die Ermordung des Bürgermeisters Lluvane Álvarez in der Ortschaft Panamericano verantwortlich gemacht.

Erschienen am 28. Oktober 2009 in der Tageszeitung junge Welt