Terror gegen Kinder

Helfer rennen mit kleinen Kindern auf dem Arm aus dem brennenden Gebäude. Eine junge Frau bricht schreiend auf der Straße zusammen. Andere versuchen, sich vor dem beißenden Rauch zu schützen. Es waren dramatische Szenen, die sich am Montag (Ortszeit) in Venezuelas Hauptstadt Caracas abgespielt haben.

Wie der vom Kulturministerium betriebene Rundfunksender Alba Ciudad berichtete, hatten sich in Chacao, einem Mittelschichtsviertel im Osten der Metropole, rund 150 vermummte Jugendliche zusammengefunden, um Verwaltungsgebäude zu attackieren. Ihre Wut richtete sich gegen ein Bürogebäude des Obersten Gerichtshofs (TSJ), die Filiale einer Privatbank und gegen das Wohnungsbauministerium. Sie schleuderten Molotowcocktails in die Häuser, die daraufhin in Brand gerieten. Über der Stadt erhob sich eine schwarze Rauchwolke.

Im Inneren des Wohnungsbauministeriums befanden sich zum Zeitpunkt des Angriffs fast 1.000 Menschen, unter ihnen 45 Kinder in einer betrieblichen Vorschuleinrichtung. Sie mussten zunächst in oberen Stockwerken in Sicherheit gebracht werden. Im Internet veröffentlichte Tonaufnahmen belegen, wie die Betroffenen in dramatischen Anrufen um Hilfe baten. Sie wurden schließlich von Feuerwehrleuten und Angehörigen des Zivilschutzes in Sicherheit gebracht, nachdem die Nationalgarde die Angreifer zurückdrängen konnte.

Wohnungsbauminister Manuel Quevedo sprach anschließend von einem »terroristischen Angriff«. »Die Terroristen kamen mit all ihrer Bosheit, rissen das Gitter am Haupteingang nieder und zerstörten die Einrichtung, die der Bevölkerung dienen soll. Sie haben all ihren Hass entladen«, erklärte er. Hilfe sei erst von der Feuerwehr und dem Zivilschutz gekommen, betonte Quevedo und kritisierte damit die Behörden von Chacao, dessen Bürgermeister Ramón Muchacho ein Aktivist der rechten Oppositionspartei Primero Justicia ist. Die Vertreter der örtlichen Gesundheitsbehörde Salud Chacao seien dagegen nur gekommen, »um zu sehen, ob es verletzte oder verhaftete Terroristen gab«, so Quevedo.

Muchacho behauptete dagegen, die Funktionäre von Salud Chacao seien sofort zum Ort des Geschehens geeilt, von Beamten der Nationalgarde jedoch vertrieben worden. Der Bürgermeister hatte allerdings 13 Stunden gebraucht, um die Gewalt in seinem Viertel eindeutig zu verurteilen. Unmittelbar nach den Ereignissen beschuldigte er über Twitter die Nationalgarde, die Kinder durch den Einsatz von Tränengas gefährdet zu haben. Erst am Dienstag räumte er ein, dass »auch« der Rauch aus dem brennenden Gerichtsgebäude die Lage verschärft habe – und fragte nun, warum Polizei und Nationalgarde nicht in der Lage gewesen seien, rechtzeitig gegen die Gewalttäter vorzugehen. Der Politiker legte außerdem nahe, dass es sich bei den Angreifern um »Infiltrierte«, also als Provokateure auftretende Regierungsanhänger, gehandelt habe.

Seit Wochen kommt es in Venezuela, vor allem in den östlichen Stadtvierteln der Hauptstadt Caracas, zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen militanten Regierungsgegnern und den Sicherheitskräften. Zunächst hatten sich diese meist am Rande von Großdemonstrationen der Opposition entwickelt. Inzwischen haben sich die militanten Aktionen jedoch von den kleiner werdenden Kundgebungen der Rechten gelöst, die Militanten suchen direkt die Konfrontation mit Polizei und Nationalgarde. In den vergangenen Wochen starben bereits mehr als 70 Menschen.

Erschienen am 14. Juni 2017 in der Tageszeitung junge Welt