Tausende trauern

Mehrere tausend Menschen haben in den vergangenen Tagen auch in Deutschland Abschied vom verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez genommen. In der Botschaft des süd­amerikanischen Landes in Berlin sowie in den beiden Generalkonsulaten in Hamburg und Frankfurt bildeten sich zeitweise lange Schlangen von Wartenden, die sich in die ausliegenden Kondolenzbücher eintragen wollten. Während draußen die Nationalflagge Venezuelas auf halbmast gesetzt worden war, waren die Räumlichkeiten entsprechend geschmückt. In Berlin brannte neben einem Porträtfoto des Staatschefs eine weiße Kerze, die Wände waren in den Farben der venezolanischen Trikolore gehalten. Die Eintragungen spiegelten die große Wertschätzung wider, die der Comandante bei unzähligen Menschen genossen hat. Nicht nur auf spanisch und deutsch, sondern auch in türkischer, arabischer und in anderen Sprachen waren die Einträge gehalten. Botschafter zahlreicher Länder, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Vertreter fortschrittlicher Organisationen waren unter denen, die dem venezolanischen Volk ihre Anteilnahme zum Tod seines Präsidenten ausdrückten – vor allem aber unzählige ganz normale Menschen, in Berlin lebende Venezolaner, sich für Venezuela interessierende Berliner. In der Bundesrepublik ging die Zahl der in den Vertretungen trauernden Menschen in die Tausende. Waren es in Berlin allein am Donnerstag mehr als 800, bezifferten Vertreter des Konsuls in Frankfurt am Main deren Zahl gegenüber jW auf mehr als 450. »Die Reaktionen der lateinamerikanischen Gemeinde und der deutschen Bevölkerung in Hessen zeigen uns auf bewegende Weise, wie stark die Solidarität mit unserem Präsidenten Hugo Chávez ist. Zahlreiche Gruppen wie auch Privatpersonen, Vertreter der Linksfraktion und des konsularischen Korps nehmen seit Mittwoch mit unglaublicher Anteilnahme von unserem Comandante Abschied«, sagte Generalkonsul Jimmy Chediak. Um so mehr habe ihn erstaunt, daß bis Freitag morgen weder Vertreter der hessischen Staatskanzlei in Wiesbaden noch der Frankfurter Stadtregierung im Konsulat erschienen seien.

 

Auch in Hamburg riß die Kette der Trauernden seit Mittwoch nicht ab. Für die in der Hansestadt aktiven Solidaritätsgruppen bekundete die Venezolanerin Xiomara Tortoza ihren tiefen Schmerz über den Tod »unseres Präsidenten, Kameraden und geliebten Comandante« Hugo Chávez. »Mit großem Mut und Liebe gab er alles für den Revolutionsprozeß in Venezuela und ganz Lateinamerika. Mit seinen Taten zeigte er, daß es doch möglich ist, gegen den Kapitalismus zu kämpfen und einen Sozialismus aufzubauen, der dem Volk den Weg zur Freiheit weist, das nun mutig den Kampf für die Befreiung und gegen die Unterdrückung durch das kapitalistische Imperium fortführt.«

Für Mißtöne sorgte am Donnerstag in Berlin lediglich eine Vertreterin des Tagesspiegels. Wie Mitarbeiter der Botschaft gegenüber junge Welt berichteten, störte die Journalistin die wartenden Menschen, indem sie diese zu interviewen versuchte. Als sie sich dann noch die Eintragungen im Kondolenzbuch durchlas und sich einige davon herausschrieb, griffen Diplomaten ein und baten die Reporterin aus dem Raum. Empört kommentierte diese den Vorgang in der Onlineausgabe ihres Blattes: »Journalisten werden zwar freundlich empfangen, sind aber anscheinend hier nicht so gern gesehen, ganz besonders die vom Tagesspiegel nicht. Ein Stapel der Zeitung junge Welt, die Chávez’ Bild und die Überschrift ›Chávez presente!‹ auf der Titelseite trägt, liegt für die Gäste am Eingang bereit.« In der gedruckten Freitagausgabe fehlt diese Beschwerde.

Ruprecht Polenz (CDU), der dem Auswärtigen Ausschuß des Bundestages vorsitzt, wetterte unterdessen in der Süddeutschen Zeitung gegen das Kondolenzschreiben der Linkspartei-Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger sowie des Linken-Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi. Ihn erinnere das an »die Huldigung zu Fidel Castros rundem Geburtstag«. Sevim Dagdelen, die Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion, wies die Kritik gegenüber jW zurück: »Die CDU hat in Lateinamerika immer rechte Putschisten, wie Pinochet, unterstützt.« Sie zitierte den CDU-Abgeordneten Bruno Heck, der nach einem Besuch in Chile nach dem Putsch 1973 sagte: »Das Leben im Stadion kann bei sonnigem Frühlingswetter recht angenehm sein«. Die CDU müsse endlich ihre Unterstützung für mörderische Regime wie in Saudi-Arabien und den Golfstaaten sowie der Putschisten in Honduras oder Paraguay hinterfragen, so Dagdelen. »Sie unterstützen noch die übelsten Menschenrechtsverletzer und bewaffnen sie bis an die Zähne. Das ist eine widerwärtige Politik und hat rein gar nichts mit christlicher Nächstenliebe zu tun.«

Erschienen am 9. März 2013 in der Tageszeitung junge Welt