Stasi-Angst in Thüringen

Im ersten Wahlgang fehlte Bodo Ramelow eine Stimme, weil ein Abgeordneter des Thüringer Landtags seinen Zettel ungültig gemacht hatte. Als dann Landtagspräsident Christian Carius (CDU) am Freitag vormittag bei der Bekanntgabe des Ergebnisses der zweiten Runde ebenfalls eine ungültige Stimme feststellen musste, hielten die Anwesenden kurz den Atem an. Doch diesmal waren die nötigen 46 Stimmen zusammengekommen – Ramelow ist der erste Ministerpräsident eines Bundeslandes, der Mitglied der Linkspartei ist.

CDU und andere Rechte hatten im Vorfeld mit antikommunistischer Hysterie versucht, die Wahl Ramelows zu verhindern. Am Donnerstag abend demonstrierten in Erfurt rund 1.500 Menschen gegen eine von ihnen befürchtete »Rückkehr der SED«. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Volker Kauder, machte Stimmung mit der Aussage, er werde »der SPD die Wahl eines linken Ministerpräsidenten nicht so schnell vergessen«. Die Union hatte darauf spekuliert, dass Abweichler aus SPD oder Grünen einen dritten Wahlgang nötig machen könnten, bei dem die einfache Stimmenmehrheit ausgereicht hätte. In diesem Fall wollte die CDU den ehemaligen Jenaer Universitätsrektor Klaus Dicke ins Rennen schicken. »Wenn Ramelow zweimal an seiner eigenen Koalition scheitert, ist Dicke unser überparteiliches Angebot an diejenigen, die Ramelow in den dritten Wahlgang gezwungen haben«, sagte Fraktionschef Mike Mohring dem MDR. Dass die CDU dazu die stillschweigende Unterstützung der AfD gebraucht hätte, erwähnte er nicht. Diese warf der Union ihrerseits vor, »Steigbügelhalter« für »Rot-Rot-Grün« gewesen zu sein, weil sie eine Koalition mit den Ultrarechten ausgeschlossen hatte.

Nach der Wahl Ramelows tönte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, damit sei »ein Top-Agent einer Ex-Stasi-Connection der Linkspartei Regierungschef geworden«. Hubertus Knabe, Chef der »Stasi-Gedenkstätte« in Berlin-Hohenschönhausen, fabulierte unter Berufung auf »viele Opfer des SED-Regimes«, diese fürchteten, »dass diejenigen zurück an die Macht kommen, die vor 25 Jahren entmachtet wurden«.
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Der aus dem nördlich von Bremen gelegenen Osterholz-Scharmbeck stammende Ramelow übte sich in seiner Antrittsrede zum wiederholten Mal im Kotau vor solchen Angriffen. Nicht der Tag seiner Wahl sei historisch. »Der historische Moment war gestern vor 25 Jahren, als die Erfurterinnen und Erfurter sich aufgemacht haben, die Zentrale des Machtapparates friedlich zu besetzen.« Am 4. Dezember 1989 hatten Demonstranten in Erfurt die örtliche Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR gestürmt. Ein Vierteljahrhundert später ist mit Ramelow etwas derartiges nicht zu machen, obwohl seine Partei noch in ihrem Landtagswahlprogramm versprochen hatte, »das Landesamt für Verfassungsschutz als Geheimdienst ersatzlos abschaffen« zu wollen. In dem mit SPD und Grünen ausgehandelten Koalitionsvertrag wurde daraus nur noch, der NSU-Aufbauorganisation die V-Leute wegzunehmen.

»Vom Politikwechsel ist nicht mehr die Rede, Kniefall und Anpassung haben gesiegt. Das ist kein Anlass zum Jubeln«, kommentierte deshalb der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele gegenüber junge Welt. Das schätzen offenbar auch manche Linke so ein. Die Kommunistische Plattform sah sich deshalb schon im Oktober gezwungen, vor einem Austritt zu warnen: »Wir sollten die Partei nicht jenen überlassen, die heute um der Regierungsbeteiligung willen Geschichte klittern oder die morgen Militäreinsätzen der Bundeswehr zustimmen würden.«

Erschienen am 6. Dezember 2014 in der Tageszeitung junge Welt