Stärker als die Repression

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International stellt Spanien in ihrem am Donnerstag veröffentlichten Jahresbericht ein verheerendes Zeugnis aus. Die Behörden des Königreichs hätten das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit für Unterstützer einer Unabhängigkeit Kataloniens »unverhältnismäßig eingeschränkt«, heißt es gleich im ersten Satz des Spanien gewidmeten Kapitels. Die Sicherheitskräfte seien etwa während des verbotenen Referendums in Katalonien am 1. Oktober mit übermäßiger Gewalt gegen Demonstranten vorgegangen, die Polizeioperationen passiven Widerstand entgegengesetzt hätten. Amnesty kritisiert auch die Prozesse gegen Dutzende Personen wegen »Befürwortung des Terrorismus« und »Beleidigung der Opfer«.

Erst am Dienstag hatte der Oberste Gerichtshof Spaniens eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren gegen den mallorquinischen Rapper José Miguel Arenas Beltrán alias »Valtonyc« bestätigt. Der 24jährige hatte in seinen Liedern mit drastischen Formulierungen unter anderem den ehemaligen König Juan Carlos und führende Politiker der spanischen Rechtsparteien attackiert. Unter anderem sang er in offenkundiger Anspielung auf den militanten Widerstand: »Lasst sie so sehr Angst bekommen wie einen Polizisten im Baskenland.«

Doch Repression gibt es in Spanien natürlich nicht. Deshalb ließen die Organisatoren der Kunstmesse ARCO in Madrid in dieser Woche das Werk »Politische Gefangene« von Santiago Sierra entfernen. Es enthält 24 verpixelte Porträts, die aber vor allem anhand der Begleittexte zu identifizieren sind. So zeigt ein Foto den seit März 2016 inhaftierten andalusischen Gewerkschafter Andrés Bódalo, auf anderen Bildern sind Jordi Sànchez und Jordi Cuixart zu erkennen, die in den vergangenen Jahren die Großdemonstrationen für die Unabhängigkeit Kataloniens organisierten und dafür seit Mitte Oktober im Gefängnis sitzen. Auch der frühere Vizechef der katalanischen Regionalregierung, Oriol Junqueras, ist inhaftiert und wurde deshalb von Sierra abgebildet. Die Messegesellschaft Ifema begründete das Abhängen der Bilder mit der »Polemik«, die das Werk in den Medien ausgelöst habe. Damit lenke es von den anderen Ausstellungsstücken ab.

Am Dienstag wurde bekannt, dass acht führende Gewerkschafter aus Tarragona von der katalanischen Regionalpolizei Mossos d’Esquadra – die seit Oktober von Madrid kontrolliert wird – beschuldigt werden, für »Ausschreitungen« während des Generalstreiks am 3. Oktober verantwortlich zu sein. Es handelt sich unter anderem um die Vertreter der vier Gewerkschaftsverbände CGT, Cobas, COS und IAC, die zusammen zur Demonstration am Abend des Streiktages aufgerufen hatten. In einer gemeinsamen Erklärung weisen die vier Organisationen die Anschuldigungen zurück. Es sei im Rahmen eines Generalstreiks völlig normal, dass Straßen blockiert oder Kundgebungen durchgeführt werden. Die Beschuldigten würden nun allein deshalb angeklagt, weil ihre Namen den Behörden bekannt seien. »Das Ziel ist klar: Die Grenzen, in denen die Dynamik von Protest und Meinungsäußerung noch toleriert wird, werden immer enger gezogen, um uns einzuschüchtern und zu erpressen, damit wir unsere legitimen Rechte nicht wahrnehmen«, heißt es in dem Statement der vier Arbeiterorganisationen.

Zudem informierte die anarcho-syndikalistische CGT am Mittwoch, dass auch gegen ihren Generalsekretär in Katalonien, Ermengol Gassiot, Haftbefehl erlassen wurde. Der Universitätsprofessor ist zusammen mit zwei Dutzend ehemaliger Studentinnen und Studenten wegen einer Hochschulbesetzung im Jahr 2012 angeklagt, obwohl die Protestierenden die Räume damals freiwillig verlassen und »besenrein« der Universität übergeben hatten. Trotzdem sollen die Angeklagten nach dem Willen der Staatsanwaltschaft jeweils mehr als elf Jahre in Haft. Gassiot wird lediglich zur Last gelegt, sich bei einer Pressekonferenz mit den Aktionen der Studenten solidarisiert zu haben. Im Gespräch mit junge Welt verglich er dieses Vorgehen deshalb bereits im Januar 2017 mit der Repression unter der Franco-Diktatur. Er will sich auch weiterhin nicht beugen: Wie die CGT mitteilte, erschien Gassiot am Donnerstag trotz des Haftbefehls pünktlich an seinem Arbeitsplatz an der Autonomen Universität von Barcelona: »Unsere Verbundenheit mit der öffentlichen Universität ist stärker als die Repression«.

Erschienen am 23. Februar 2018 in der Tageszeitung junge Welt