Speerspitze der NATO

Mit einer »Speerspitze«, einer »superschnellen Eingreiftruppe«, will die NATO militärisch Front gegen Russland machen, dem die westliche Allianz, ohne handfeste Belege vorzulegen, eine »Bedrohung« der osteuropäischen Mitgliedsstaaten vorwirft. Der weitere Aufmarsch gegen Moskau stand am Dienstag im Mittelpunkt eines Treffens der NATO-Außenminister in Brüssel. »Angesichts der fortgesetzten und bewussten Destabilisierung der Ukraine durch Russland«, erklärte dort der Generalsekretär des Militärpakts, Jens Stoltenberg, werde die NATO »weiter ihre feste politische Unterstützung für die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität der Ukraine zeigen« – die übrigens der NATO nicht einmal angehört. In einer gemeinsamen Erklärung behaupten die Minister trotzdem unverdrossen, das russische Vorgehen gefährde die Sicherheit der Ukraine und habe »ernsthafte Auswirkungen« auf die Stabilität und Sicherheit »in der gesamten europäischen Atlantikregion« – zu der nach den geographischen Vorstellungen des Pakts offenbar das Schwarze Meer gehört.

»Eine besonders prominente Rolle«, wie es im November der stellvertretende Generalinspekteur der Bundeswehr, Peter Schelzig, formulierte, soll bei der Aufstellung dieser »Very High Readiness Joint Task Force« (VJTF, Gemeinsame Einsatztruppe mit sehr hohem Bereitschaftsgrad) Deutschland spielen. Das sei aber nur »Zufall«, wiegelte die Deutsche Presseagentur gestern ab: »Das 1995 gegründete Deutsch-Niederländische Korps in Münster diente schon zweimal – 2005 und 2008 – als NATO-Bereitschaftstruppe nach dem alten Modell. Schon vor der Ukraine-Krise war klar, dass das Korps 2015 erneut an der Reihe sein wird und einen beträchtlichen Teil der Landstreitkräfte beisteuern wird.« Doch die neue Truppe besteht nicht nur aus den Münsteranern. Auch das 900 Soldaten starke Panzergrenadierbataillon 371 aus dem sächsischen Marienberg soll nach Informationen der dpa Teil der neuen Interventionstruppe sein.

Die NATO und westliche Regierungen bemühen sich derweil nach Kräften darum, von der eigenen Verantwortung für die gegenwärtigen Konflikte abzulenken. Es war eben keine Folge reinen Zufalls, wie sich die Situation in Europa in den vergangenen Monaten entwickelt hat. Tatsächlich haben Berlin, die EU und die NATO entscheidenden Anteil an der sich seit einem Jahr immer mehr zuspitzenden Lage in der Ukraine, dem Putsch vom vergangenen Februar und der Machtbeteiligung offener Faschisten an dem damals in Kiew installierten Regime. Gegen dieses lehnte sich die Bevölkerung in den südlichen und östlichen Landesteilen der Ukraine auf, was zuerst zur Abspaltung der Krim und dann zum Aufstand im Donbass sowie zur Ausrufung der Volksrepubliken in Donezk und Lugansk führte – nachdem die paramilitärischen »Freiwilligenbataillone« der Kiewer Machthaber mit brutaler Gewalt gegen zunächst friedlich protestierende Antifaschisten vorgegangen waren.

Gegen diese Widerstandskräfte und gegen Russland, an dem sich viele Menschen im Osten der Ukraine orientieren, richtet sich nun auch die VJTF. Das hatten die Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten bereits im September bei ihrem Gipfeltreffen in Wales beschlossen. Die aus rund 4.000 Soldaten bestehende Truppe aus Land-, Luft-, See- und Spezialstreitkräften soll demnach innerhalb von zwei bis fünf Tagen eingesetzt werden können. Sie solle »leicht reisen und hart zuschlagen«, formulierte es damals Stoltenbergs Vorgänger Anders Fogh Rasmussen.

Erschienen am 3. Dezember 2014 in der Tageszeitung junge Welt