Spanien sagt »Basta!«

Spaniens Jugend rebelliert, und mit ihr Rentner, Erwerbslose und viele andere. Auf den Plätzen der spanischen Großstädte versammeln sich seit zwei Wochen Tausende, haben Zeltlager errichtet und machen keine Anstalten, wieder nach Hause zu gehen. Mindestens bis Sonntag, so der Konsens der Demonstranten, sollen die Camps aufrechterhalten werden. Ob es danach weitergeht oder sich die Formen des Protestes ändern, soll gemeinsam entschieden werden.

Auf vier Forderungen haben sich die an der Puerta del Sol im Zentrum Madrids ausharrenden Menschen geeinigt. Dazu gehört eine Wahlrechtsreform, die eine tatsächlich repräsentative Demokratie ermöglichen soll. Bislang bevorzugt das spanische Wahlrecht die großen Parteien, während kleinere Formationen benachteiligt werden. Weiter fordert das Protestcamp in Madrid einen wirksamen Kampf gegen die Korruption und für politische Transparenz sowie eine tatsächliche Gewaltenteilung. Schließlich sollen Möglichkeiten für die Bürger geschaffen werden, das Handeln der Politiker tatsächlich überprüfen und diese an ihre Verantwortung erinnern zu können.

Der Erfolg der Bewegung kam für alle Seiten überraschend. An ihrem Beginn standen am 15. Mai Demonstrationen in einem halben hundert spanischer Städte, an denen sich insgesamt über 165000 Menschen beteiligten – spontan und über das Internet mobilisiert. In Madrid weigerte sich eine zunächst kleine Gruppe von Teilnehmern, nach Abschluß der Demonstration nach Hause zu gehen und beschloß, im Stadtzentrum zu übernachten. Am 17. Mai räumte die Polizei in den frühen Morgenstunden den Platz. Doch schon wenige Stunden später strömten über 17000 Menschen an die Puerta del Sol, um gegen die Polizeigewalt zu protestieren. Die Staatsmacht hatte den Tropfen geliefert, der das Faß endgültig zum Überlaufen brachte. Auch ein landesweites Demonstrationsverbot am vergangenen Wochenende konnte die Bewegung nicht mehr aufhalten. Die Welle dehnte sich aus – auf die Plaça Catalunya in Barcelona, die Plaza de la Constitución in Málaga, die Plaza de España in Palma de Mallorca oder die Plaza de la Encarnación in Sevilla und in Dutzende weitere Städte des Landes. Kommuniziert und koordiniert wird über das Internet, per Video werden die Ereignisse live in alle Welt übertragen, und Europa schaut hin: In Berlin und anderen deutschen Städten gingen Hunderte aus Solidarität auf die Straße, in Italien wird bereits für die »Italian Revolution« mobilisiert, und selbst die demonstrationserfahrenen Griechen lassen sich von den Spaniern noch einmal anfeuern.

Erschienen am 28. Mai 2011 in der Wochenendbeilage der Tageszeitung junge Welt