Spanien: Postfranquisten an der Macht

Die Wahlen in Spanien vom 3. März haben einer Epoche ein Ende gesetzt, die 1982 begonnen hatte: der Epoche der Regierung der Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE – Partido Socialista Obrere Español)  unter Felipe  Gonzalez. Sein Kabinett machte vor allem in  den letzten Jahren mehr durch Skandale und die Verwicklung in  kriminelle Machenschaften  von sich reden als durch eine irgendwie geartete  zukunftsweisende Politik.  Erinnert sei  hier nur an  den „Caso GAL“, den Fall der von staatlicher Seite zumindest geduldeten Terror-Gruppe im schmutzigen Krieg gegen die baskische ETA.

Die  Nachfolge  der  abgewirtschafteten  Staatsführung  hat  die Volkspartei (PP  – Partido  Popular) angetreten  – eine Organisation, die  ihre Wurzeln direkt in der Elite des späten Franco-Regimes hat,  also mit  Fug und  Recht als „postfranquistisch“ bezeichnet werden kann.

Die Partido  Popular entstand  erst 1989 als Nachfolgerin der bis dahin agierenden, 1976 – in der Phase der „Transición“, des Übergangs von  der Franco-Diktatur  zur demokratischen Staatsform des heutigen Spaniens  – gegründeten Alianza Popular (AP – Volksallianz). Und  mit dieser  AP, die in den ersten Jahren ihrer politischen Existenz  von allen  anderen Parlamentsparteien  weitgehend geschnitten wurde,  lohnt es  sich etwas  näher zu  beschäftigen.

Nach längerer  Agonie war am 20. November 1975 der spanische Diktator Franco  gestorben, an  die Macht  gekommen durch Putsch und Krieg gegen  die Spanische  Republik 1936-39.  Mit ihm  starb das ebenfalls bereits  siechende, durch Franco repräsentierte faschistische System.  Der zwei  Tage nach Francos Tod als König vereidigte Juan Carlos entpuppte sich als Reformer, und das, obwohl er von Franco  seit seiner  Kindheit darauf  vorbereitet worden war, die Diktatur  über Franco  hinweg zu  retten. In dieser Situation schien der  weitere Entwicklungsweg Spaniens offen. Bereits unter den Bedingungen der Illegalität hatten sich zahlreiche oppositionelle Gruppierungen  und Parteien  reorganisiert, bzw.  waren neu entstanden. Besonders  in Katalonien  gab es schon Ende der 60er, Anfang der  70er Jahre eine voll ausgebildete Parteienlandschaft, die sich sogar in parlamentsähnlichen Versammlungen organisierte. Auf gesamtspanischer Ebene war die am besten organisierte und den Widerstand gegen  das  Franco-Regime  maßgeblich  tragende  Kraft zweifellos die  Kommunistische Partei  Spaniens (PCE),  die unter Santiago Carrillo einen „eurokommunistischen“ Kurs verfolgte. Sie besaß bereits damals über 100 000 Mitglieder und Zehntausende von SympathisantInnen. 1) 

Teile der  mit Franco verwobenen Elite rüsteten sich für die Zeit nach dem Ende des Diktators. 1975 analysierte Hans Werner Franz in seinem Buch „Klassenkämpfe in Spanien heute“; „Seit  dieser offenen  Krise des  Regimes (der Entlassung des ‚liberalen‘  Informationsministers und  den darauf  folgenden Rücktritten des Finanzministers und 18 weiterer hoher Politiker – A.S.) betreibt  die Bourgeoisie sehr viel konkretere Vorbereitungen für  die Zeit  nach Franco  … Im  Januar 1975 trat das seit Jahren diskutierte Gesetz über politische Vereinigungen im Rahmen der Nationalen Bewegung (der Franco-Staatspartei, A.S.) in Kraft. Auf diese  Weise können  die zentristischen Kreise durch die Bildung von Assoziationen an ihrem demokratischen) Mäntelchen weben, ohne der Arbeiterklasse und ihren Organisationen den Webstuhl zugänglich zu machen. Zugleich treffen sie damit aber auch konkrete Vorbereitungen für  die Bildung  konservativer Parteien  für  den Fall, daß dieses zentristische Manöver ihnen mißlingt, woran auch in Spanien  kaum noch  jemand zweifelt.“ 2) In der Tat entstanden zahlreiche Parteien konservativer bis rechtsextremer Prägung, deren vorrangiges Ziel es war zu verhindern, daß aus den Reformen – deren Unvermeidlichkeit sie sich eingestehen mußten – ein wirklicher Bruch mit der Franco-Diktatur werden würde.

Am 23.  September 1976  fanden erste  Gespräche zur  Gründung der Alianza Popular  (AP) als eines Bündnisses dieser allein zu kleinen und  isolierten rechten  Parteien statt,  am 5. März 1977 gefolgt vom 1. Parteikongreß. 3) Alles überragende  Figur der AP und der gesamten spanischen Rechten war  Manuel Fraga Iribarne. Unter Franco war er Informations- und Tourismus-Minister  (1962-69), Botschafter  in Großbritannien (1973-75) und  Innenminister (1975-76) gewesen und zählte sich zu den „Reform“-Anhängern  unter der franquistischen Elite. Sein Demokratie-Verständnis brachte er in einem in Buchform publizierten Interview mit  den Worten  zum Ausdruck:  „Ich habe immer gesagt, daß ich  mich, wenn  man mich vor die Wahl zwischen einem Spanien mit einer gut organisierten Demokratie und einem Spanien ohne Demokratie stellt, ich das erstere wählen würde. Aber wenn sie mich veranlassen, zwischen einem theoretisch demokratischen System und Spanien zu wählen, werde ich Spanien wählen.“ 4)

Die AP  bemühte sich  in jenen  Jahren in  wechselnden regionalen Konstellationen, jedoch  unter Beibehaltung  konservativer Standpunkte um  ein gemäßigtes Auftreten, zur Verbreiterung ihrer Wählerbasis. Im  Vorfeld der Parlamentswahlen von 1977 gab es in der Tat Befürchtungen,  die AP  oder die noch weiter rechts stehende, offen faschistische  „Fuerza Nueva“  (FN) könnten  vom sog. franquismo sociológico  profitieren, d.  h. von  der jahrzehntelangen Prägung der  spanischen Bevölkerung durch die Franco-Diktatur und von den  damals faktisch noch fortbestehenden Organisationsstrukturen der  Diktatur. Dies  war aber  nicht im befürchteten Ausmaß der Fall,  die AP errang lediglich 8,2 Prozent der Stimmen und 16 Abgeordnetensitze. 5)

Gegen die AP sprach zu diesem Zeitpunkt die Stärke der zentristischen UCD  (Union des  Demokratischen Zentrums),  die 1977-82 mit Suárez die  Regierung stellte,  als Alternative  zu den Linksparteien PSOE  und PCE.  Dazu kam,  daß die Ablehnung der Autonomien durch die  AP ein  Bündnis mit  den konservativ-nationalistischen Parteien Kataloniens  (CiU) und Euskadis (des Baskenlandes) (PNV) ausschloß. Erst mit  dem Niedergang  der UCD  entwickelte  sich  die  AP  ab 1981/82 zur  größten Oppositionspartei. Spätestens ab 1986 zeichnete sich jedoch ab, daß die dominierende Rolle Fragas einem weiteren Wachstum  der spanischen  Rechten hinderlich sein würde. Zu sehr wurde  seine Person  mit dem Franco-System in Verbindung gebracht, zu sehr war auch die AP ein Kind der Franco-Eliten. So entstand  1989 aus  der AP  die „neue“  Partido Popular  (PP). Fraga trat  als „Gründungspräsident“  in die zweite Reihe zurück. Neuer Kopf  der PP wurde der junge Jurist José María Aznar. Damit änderte sich  jedoch nicht  das ideologische Konzept. Auch Aznar, der sich  betont demokratisch  gibt und seine PP als eine „Partei der Mitte“ präsentiert (ein Versuch, der von den ehemaligen Protagonisten der  UCD scharf  zurückgewiesen wird),  relativiert die Franco-Diktatur und  kritisiert scharf  das Konzept  des „Staates der Autonomien“.  Eine Ausweitung  dieser Autonomie  hin zu einer echten Selbstbestimmung (Autodeterminació – eine Parole, die beispielsweise die katalanischen Kommunistinnen in Abgrenzung zu Unabhängigkeitsbestrebungen verwenden)  ist mit ihm schon gar nicht zu machen. 6)

Wie sehr aber ein verändertes Image politische Chancen verbessern kann, ist  nicht erst  seit den  Erfolgen der  PP bekannt.  Hinzu kommt –  mehr noch als die eigene Kosmetik der Rechten – das Veragen der  „sozialistischen“ Regierung.  Bereits 1993  stand  die PSOE-Regierung auf  der Kippe,  hatten die  Umfragen die PP vorne gesehen. Damals konnte sich die PSOE noch mit Hilfe der katalanischen bürgerlichen  Nationalisten der  CiU (Convergència  i Unió, sie regiert in Katalonien) unter Jordi Pujol an der Macht halten. Für 1996  hatten Umfragen  teilweise sogar eine absolute Mehrheit für Aznars  PP vorausgesagt, es wurde dann doch nur eine relative Mehrheit daraus.  Das 1993 und 1996 überraschend „gute“ Abschneiden der  PSOE erklärt sich aus der Furcht weiter Teile der spanischen Bevölkerung vor einer Rückkehr der Rechten, die die PSOE im Wahlkampf mit  Rückgriffen auf  die Erinnerung an den Bürgerkrieg geschickt ausnützte.  Mit Aznar  regiert in Spanien erstmals seit dem Ende der Franco-Diktatur wieder die Rechte. Von dieser Furcht konnte die  PSOE profitieren,  zu einem guten Teil auch zu Lasten der Vereinigten Linken (IU – Izquierda Unida), der dadurch potentielle Stimmen verloren gingen.

Unmittelbar nach seinem Amtsantritt bemühte sich Aznar, die große Unruhe unter  den Gewerkschaften und den Anhängerinnen der linken Parteien zu  zerstreuen, indem er – ganz nach deutschem Vorbild – ein „Bündnis für Arbeit“ ausrief. Das bedeutet aber nicht, daß er irgendwelche  Abstriche  an  seinem  Sozialabbau-Programm  machen würde,   im   Gegenteil:   parallel   zur   Proklamation   dieses „Bündnisses“ forciert  die PP-Regierung  ein drastisches Privatisierungsprogramm.

Erleichtert wird Aznar diese Politik durch die Auseinandersetzungen in der Vereinigten Linken, getragen vor allem durch den rechten Flügel  dieses Bündnisses  in Gestalt der „Neuen Linken“, die der PCE und insbesondere deren Generalsekretär Julio Anguita vorwerfen, durch  eine zu  radikale Politik die Wahlschlappe verantwortet zu  haben, sowie durch einen Rechtsruck in der Führung der Gewerkschaft CC.OO.,  der mit  einem Hinausdrängen linker Gewerkschafterinnen aus  Wahl- und  hauptamtlichen Funktionen verbunden ist, darunter  die unwürdige  Abwahl der historischen Symbolfigur der CC.OO.  aus der Zeit des Widerstandes gegen die Franco-Diktatur, Marcelino Camacho.

Trotzdem wird  es Aznar nicht einfach haben. Die spanische Arbeiterklasse  hat  es  immer  wieder  verstanden,  den  Herrschenden Schwierigkeiten zu machen. Davon zeugen zahlreiche Generalstreiks – bis  in die  letzten Jahre  hinein -. und davon zeugen auch die Großdemonstrationen mit  mehreren hunderttausend  Teilnehmerinnen am diesjährigen 1. Mai.

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  1. 1) Mundo Obrero.  Nr. 6/1974, S. 5; zit. nach: Hans Werner Franz, Klassenkämpfe in Spanien heute, Frankfurt/M. 1975
  2. 2) Hans Werner  Franz. Klassenkämpfe  in  Spanien  heute,  Frankfurt/M. 1975. S. 180
  3. 3) Eine ausführliche  Darstellung der  Politik der AP während der Transición und  ihrer organisatorischen  Entwicklung gibt Lourdes López Nieto  in seinem Werk „Alianza Popular: Estructura y evolución electoral  de un  partido conservador  (1976-1982)“,  Madrid 1988
  4. 4) Manuel Fraga  Iribame: Política  y autonomías,  in: Cinco anos después, ?cuál es el balance?, Barcelona 1980, S. 24
  5. 5) Bernecker/Collado Seidel:  Spanien nach  Franco, München 1993, S. 173
  6. 6) vgl. José María Aznar: Libertad y solidaridad, Barcelona 1991, S. 149  ff. –  Genau diese  Position ist einer der zentralen Konfliktpunkte der  jetzigen Kooperation zwischen PP und den katalanischen, baskischen  und kanarischen  Nationalisten. Aznar  mußte sich die  Stimmen dieser Regionalparteien mit massiven finanziellen Zugeständnissen an die autonomen Regionen erkaufen.

Erschienen im Heft 4 (Juli/August) 1996 der Zeitschrift Marxistische Blätter